Urteile und Entscheidungen im Strafrecht

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Anwalt für Strafrecht: Europäischer Haftbefehl

Eine Auslieferung zum Zwecke der Strafverfolgung durch die ungarischen Justizbehörden kann trotz Vorliegens eines europäischen Haftbefehls unzulässig sein.

Mit Beschluss vom 14.12.2015 - (4) 151 AuslA 121/15 (156/15) hat das Kammergericht in Berlin seinen Auslieferungshaftbefehl gegen einen mit gleich zwei europäischen Haftbefehlen Verfolgten aufgehoben und die Auslieferung an die ungarischen Justizbehörden für unzulässig erklärt. Gegen den Verfolgten waren durch ungarische Gerichte zum Zwecke der Strafverfolgung europäische Haftbefehle erlassen worden, einerseits wegen des unerlaubten Handels mit Betäubungsmitteln und andererseits wegen (in Ungarn strafbarer) Flucht aus dem gerichtlich verhängten Hausarrest.

Das Kammergericht stellt in seinem Beschluss zunächst klar, dass bezüglich der Gefangenenflucht aus dem Hausarrest bereits ein Auslieferungshindernis vorliegt, weil eine solche Tat in Deutschland nicht strafbar ist, somit die Auslieferungsvoraussetzung der beiderseitigen Strafbarkeit fehlt. Bezüglich des vorgeworfenen Betäubungsmittelhandels sieht das Kammergericht ein Auslieferungshindernis darin gegeben, dass nicht hinreichend feststeht, dass der Verfolgte im Falle einer Verurteilung nach dem ungarischen Strafgesetzbuch die Chance hat, jemals wieder in Freiheit zu gelangen. Diesbezüglich präzisiert das Kammergericht, dass in dem vorliegenden Fall nach ungarischem Recht die Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe möglich ist. Insofern ist eine Auslieferung nach dem IRG ohnehin nur dann zulässig, wenn nach spätestens 20 Jahren eine Überprüfung der Strafvollstreckung erfolgt. Aus den Mitteilungen des ungarischen Justizministeriums könne jedoch nicht hinreichend sicher geschlossen werden, dass eine solche Überprüfung rechtzeitig erfolgen wird oder der Verurteilte möglicherweise vorzeitig entlassen wird. Im Falle einer Verurteilung zu lebenslanger Freiheitsstrafe ohne die Möglichkeit bedingter Entlassung genügen auch die Regelungen des ungarischen Gnadenrechts nach Auffassung des Kammergerichts nicht den vom EGMR konkretisierten Anforderungen im Hinblick auf Artikel 3 EMRK, insbesondere da die Berücksichtigung von Fortschritten bei der Resozialisierung des Verurteilten nicht gewährleistet sei. Überdies wurde seitens der ungarischen Behörden für den vorliegenden Fall auch keine Garantie für eine rechtzeitige Überprüfung der Strafvollstreckung abgegeben. Daher erklärte das Kammergericht die Auslieferung für unzulässig und hob den Auslieferungshaftbefehl auf.