Urteile und Entscheidungen im Strafrecht

Auf dieser Seite finden Sie den vollständigen Text der Entscheidungen, die für die Strafrechtskanzlei Dietrich relevant sind.

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Anwalt für Strafrecht: Versuchsbeginn bei Abgabe von Betäubungsmitteln

Ein Täter setzt noch nicht unmittelbar zur gewerbsmäßigen Abgabe von Betäubungsmittel an Minderjährige an, wenn er dem Minderjährigen die Betäubungsmittel lediglich zum Verkauf anbietet.

Dem Bundesgerichtshof lag in seiner Entscheidung vom 24. Oktober 2019 (1 StR 441/19) ein Fall zugrunde, bei dem der Angeklagte wegen versuchter unerlaubter gewerbsmäßiger Abgabe von Betäubungsmitteln an Minderjährige verurteilt worden war, da er einem 14- jährigen Jungen eine Konsumeinheit Marihuana angeboten hatte. Dieser hatte den Ankauf des Rauschgifts daraufhin jedoch nachdrücklich abgelehnt. Ein Versuch setzt gemäß § 22 StGB aber voraus, dass der Täter nach Maßgabe seines Tatplans unmittelbar zur Tat ansetzt. Die Abgabe im Sinne von § 29a Abs. 1 Nr. 1, § 30 Abs. 1 Nr. 2 BtMG setzt wiederum eine Übertragung der eigenen tatsächlichen Verfügungsmacht an den Betäubungsmitteln auf einen Minderjährigen zu dessen freier Verfügung voraus. Das Abgabemerkmal knüpft an die tatsächliche Verschaffung der Verfügungsmacht an und ist folglich enger gefasst als der Begriff des Handeltreibens im Sinne von § 29 Abs. S. 1 Nr. 1 BtMG. Das bloße Anbieten zum Verkauf von Betäubungsmitteln an Minderjährige stelle daher noch kein unmittelbares Ansetzen zur gewerbsmäßigen Abgabe von Betäubungsmitteln dar. Es rechtfertige jedoch eine Verurteilung wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln gemäß § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BtMG, da das zum Verkauf anbieten bereits einen Teilakt des (vollendeten) Handeltreibens darstellt.

Anwalt für Strafrecht: Diebstahl mit Waffen

Führt ein Dieb ein Pfefferspray mit sich, so begeht er einen Diebstahl mit Waffen gemäß § 244 Abs. 1 Nr. 1a StGB. 

Mit einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren wird gemäß § 244 Abs. 1 Nr. 1a StGB bestraft, wer einen Diebstahl begeht, bei dem er oder ein anderer Beteiligter eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt. Der Bundesgerichtshof befasste sich in seiner Entscheidung vom 20. September 2017 (1 StR 112/17) mit der Frage, ob auch ein Pfefferspray ein von § 244 Abs. 1 Nr. 1a StGB erfasstes Tatmittel darstellt. In dem vorliegenden Fall hatte der Angeklagte einer anderen Person Marihuana auf Kommission veräußert. Als die Zahlung jedoch trotz mehrerer Nachfragen des Angeklagten ausblieb, schlug er dem Geschädigten ins Gesicht, um diesen zur Zahlung zu bewegen. Auch sprühte er Pfefferspray in die Richtung des Angeklagten, ohne diesen zu treffen. Anschließend floh der Angeklagte und nahm dabei einen dem Geschädigten gehörenden Laptop mit, um ihn auf Dauer zu behalten. Der Bundesgerichtshof bejahte eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen Diebstahls mit Waffen, da das Pfefferspray ein von § 244 Abs. 1 Nr. 1a StGB erfasstes Tatmittel darstellt. Es bedürfe dabei keiner Entscheidung, ob es sich um eine „Waffe“ oder um „anderes gefährliches Werkzeug“ handele. Für die Eigenschaft als „Waffe“ könnte jedoch sprechen, dass mit Pfefferspray gefüllte Dosen als tragbare Gegenstände gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 2 a WaffG sogar als Waffen im waffenrechtlichen Sinn in Betracht kommen. Es handele sich jedenfalls aber um ein „anderes gefährliches Werkzeug“, da das in der Dose enthaltene Pfefferspray nach seiner konkreten objektiven Beschaffenheit geeignet ist, einem Opfer erhebliche Körperverletzungen zuzufügen.

Anwalt für Strafrecht: Ladendiebstahl

Steckt ein Täter transportable, handliche und leicht bewegliche Sachen in einem Geschäft in Zueignungsabsicht in eine von ihm mitgeführte Tasche, so begründet er den für den Diebstahl erforderlichen neuen Gewahrsam an der Sache.

Für die Verwirklichung des Diebstahlstatbestands gemäß § 242 StGB ist erforderlich, dass ein Täter einem anderen eine fremde bewegliche Sache in der Absicht wegnimmt, sich die Sache zuzueignen. Für das Merkmal der Wegnahme ist erforderlich, dass der Täter hinsichtlich der zuzueignenden Sache fremden Gewahrsam gebrochen und neuen begründet hat. In seiner Entscheidung vom 06. März 2019 (5 StR 593/18) musste sich der Bundesgerichtshof mit der Frage auseinandersetzen, wann eine solche Wegnahme im Sinne des § 242 StGB beim Ladendiebstahl vorliegt. Zugrunde lag ein Fall, in dem der Angeklagte in einem Supermarkt mehrere Flaschen Alkohol aus den Warenträgern nahm und sie dann in eine von ihm mitgeführte Sporttasche legte, um sie ohne Bezahlung für sich zu behalten. Nach Ansicht des Bundesgerichtshofs sei der Täter wegen Diebstahls zu verurteilen. Entscheidend für die Begründung neuen Gewahrsams ist, dass der Täter die tatsächliche Sachherrschaft derart erlangt, dass er sie ohne Behinderung durch den alten Gewahrsamsinhaber ausüben kann und dieser über die Sache nicht mehr verfügen kann, ohne seinerseits die Verfügungsgewalt des Täters zu brechen. Bei kleinen, leicht transportablen Sachen reicht es daher bereits aus, wenn der Täter sie in einem Geschäft in Zueignungsabsicht in eine von ihm mitgeführte Tasche steckt, da er die Sachen hierdurch in seinen ausschließlichen Herrschaftsbereich bringt, und zwar auch dann, wenn sie sich noch im Gewahrsamsbereich des Berechtigten befinden. Hieran gemessen habe der Angeklagte vorliegend eigenen Gewahrsam begründet, nachdem er die Flaschen in seine Tasche gesteckt hatte, da das Einstecken dieser zugleich dem Verbergen vor möglichen Beobachtern diente. Auch war die Tasche geeignet, einen unproblematischen Abtransport der Beute zu ermöglichen und den Berechtigten zudem von einem ungehinderten Zugriff auf seine Waren auszuschließen, da dieser seinerseits in die Herrschaftsgewalt des Angeklagten hätte eingreifen müssen.

Anwalt für Strafrecht: Strafzumessung bei wahrheitswidriger Notwehrbehauptung

Eine wahrheitswidrige Notwehrbehauptung kann bei der Strafzumessung erst dann straferschwerend gewertet werden, wenn Umstände hinzukommen, nach denen sich dieses Verteidigungsverhalten als Ausdruck einer zu missbilligenden Einstellung darstellt.

In seiner Entscheidung vom 19. Dezember 2018 (3 StR 391/18) hatte sich der Bundesgerichtshof mit der Frage zu befassen, ob eine wahrheitswidrige Notwehrbehauptung des Angeklagten straferschwerend gewertet werden darf. In dem zugrundeliegenden Fall hatte sich der Angeklagte gegenüber dem Geschädigten geweigert, seine Schulden zu begleichen. Der Geschädigte rangelte daraufhin mit dem Angeklagten und versetzte ihm eine schmerzende Ohrfeige. Zu einem weiteren Angriff setzte er jedoch nicht an. Dennoch stieß der Angeklagte dem Geschädigten sein Messer in den Bauch. Der Angeklagte sagte danach wahrheitswidrig aus, dass der Geschädigte ihn zuvor mehrmals geschlagen hatte. Der Angeklagte war daher wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und neun Monaten verurteilt worden. Die wahrheitswidrige Aussage wurde dabei zu Lasten des Angeklagten gewürdigt. Dem schloss sich der Bundesgerichtshof jedoch nicht an. Es sei einem Angeklagten grundsätzlich nicht verwehrt, sich gegen einen Vorwurf mit der Behauptung zu verteidigen, er habe in Notwehr gehandelt. Auch wenn damit Anschuldigungen gegen Dritte verbunden sind, werden die Grenzen eines zulässigen Verteidigungsverhaltens dadurch noch nicht überschritten. Erst wenn Umstände hinzukommen, nach denen sich dieses Verteidigungsverhalten als Ausdruck einer zu missbilligenden Einstellung darstellt, könne eine wahrheitswidrige Notwehrbehauptung straferschwerend gewertet werden. In der unzutreffenden Behauptung des Angeklagten liege jedoch keine über das Leugnen eigener Schuld hinausgehende, herabwürdigende Ehrverletzung des Geschädigten, die strafschärfend berücksichtigt werden könnte. Die Falschbelastung hätte daher nicht zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt werden dürfen.

Anwalt für Strafrecht: Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte

Ein KFZ kann ein gefährliches Werkzeug im Sinne eines besonders schweren Falls des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte darstellen.

Der Bundesgerichtshof setzte sich in seinem Beschluss vom 30. Juni 2015 (4 StR 188/15) mit der Frage auseinander, ob ein KFZ ein gefährliches Werkzeug im Sinne eines besonders schweren Falls des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte darstellt. Wegen eines besonders schweren Falls des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte macht sich ein Beschuldigter strafbar, wenn er oder ein anderer Beteiligter eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt. Der Beschuldigte in dem, dem Beschluss des BGHs zugrunde liegenden Sachverhalt, floh vor Polizeibeamten, um sich einer befürchteten Kontrolle und Festnahme zu entziehen. Im Zuge der Flucht beschleunigte der Beschuldigte sein Fahrzeug auf 100 bis 120 km/h und fuhr ungebremst auf einen Streifenwagen zu, welcher ihm an der Ausfahrt einer Raststatt den Weg versperrte. Hiermit bezwecke der Beschuldigte die Polizeibeamten zur Freigabe der Fahrbahn zu zwingen. Einer der Polizeibeamten fuhr den Streifenwagen auf eine Sperrfläche und gab den Weg frei. Nach Auffassung des Bundesgerichthofs kann es sich bei dem KFZ des Beschuldigten um ein gefährliches Werkzeug handeln. Ein Kfz kann zwar nicht als „Waffe“ im Sinne eines Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte verwendet werden, es kommt jedoch als gefährliches Werkzeug in Betracht.  

Anwalt für Strafrecht: Bewaffnetes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge

Ein gefährliches Werkzeug im Sinne eines bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge führt ein Beschuldigter dann nicht bei einer einen An- oder Verkaufstakt vorbereitenden Tätigkeit mit sich, wenn in diesem Stadium keine Rechtsgüter Dritter gefährdet sind.

Ein bewaffnetes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge setzt voraus, dass der Beschuldigte während des Handeltreibens eine Schusswaffe oder sonstige Gegenstände, die ihrer Art nach zur Verletzung von Personen geeignet und bestimmt sind, mit sich führt. Ein Mitsichführen liegt vor, wenn der Beschuldigte solche Gegenstände bewusst gebrauchsbereit in der Weise bei sich hat, dass er sich ihrer jederzeit bedienen kann. Dabei reicht es aus, dass der gefährliche Gegenstand dem Beschuldigten in irgendeinem Stadium des Handeltreibens zur Verfügung steht. In seinem Urteil vom 14. August 2018 (1 StR 149/18) befasste sich der Bundesgerichtshof damit, ob ein Beschuldigter ein gefährliches Werkzeug in einem Stadium in welchem keine Rechtsgüter Dritter gefährdet werden auch bei sich führt. Der Beschuldigte handelte in größeren Mengen mit Betäubungsmitteln, welche dieser in einem Kellerabteil aufbewahrte. In der Wohnung des Beschuldigten befanden sich ein Schlagring und ein kleiner Baseballschläger. Aus seiner Wohnung heraus tätigte der Beschuldigte Telefonate mit Betäubungsmittelabnehmern zum Zweck der Terminabstimmung. Portionierung und Verkauf der Betäubungsmittel erfolgte im Kellerabteil. Nach Auffassung des Bundesgerichtshofs genügte es für eine Strafbarkeit wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringen Mengen nicht, dass der Schlagring und der Baseballschlager dem Beschuldigten bei den Terminabsprachen gebrauchsbereit zugänglich waren. Zwar ist beim Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge das Merkmal des Mitsichführens eines gefährlichen Gegenstandes an sich auch dann erfüllt, wenn dieser nur bei einer Tätigkeit mitgeführt wird, die den eigentlichen An- oder Verkaufsakt vorbereiten soll. In Fällen, in denen der Teilakt des Handeltreibens nach Lage der Dinge aber schlechterdings keine Gefahr für das geschützte Rechtsgut darstellt, scheidet die Anwendbarkeit der Norm im Wege teleologischer Reduktion aus.

Einen Mord aufgrund der Verwendung gemeingefährlicher Mittel begeht ein Beschuldigter dann nicht, wenn er eine „schlichte“ Mehrfachtötung begeht. Eine solche liegt dann vor, wenn sich der Beschuldigte mit Tötungsabsicht gegen eine bestimmte Anzahl von ihm individualisierter Betroffener richtet.

In seinem Beschluss vom 12. November 2019 (2 StR 415/19) setzte sich der Bundesgerichtshof mit der Frage auseinander, ob die Tötung mehrerer Personen mittels eines Tatmittels bereits eine Tatbegehung mittels eines gemeingefährlichen Mittels, im Sinne eines Mordes, begründet. Wegen Mordes machts sich ein Beschuldigter strafbar, welcher die Tat mittels gemeingefährlicher Mittel begeht. Gemeingefährlich ist ein Tatmittel, wenn der Beschuldigte ein Tötungsmittel einsetzt, das in der konkreten Tatsituation eine unbestimmte Mehrzahl von Menschen an Leib und Leben gefährden kann, weil er die Ausdehnung der Gefahr nicht in seiner Gewalt hat. Dabei ist nicht allein auf die abstrakte Gefährlichkeit eines Mittels abzustellen, sondern auf seine Eignung und Wirkung in der konkreten Situation unter Berücksichtigung der persönlichen Fähigkeiten und Absichten des Beschuldigten. Der Beschuldigte zündete eine Scheune in der Kenntnis an, dass hierdurch die Betroffene und deren zwei Kinder gefährdet werden. Hierbei nahm der Beschuldigte den Tod der Betroffenen und von deren Kindern billigend in Kauf. Im Anschluss hieran verurteilte das Landgericht den Beschuldigten wegen versuchten Mordes mit einem gemeingefährlichen Mittel. Nach Auffassung des Bundesgerichtshofs beging der Beschuldigt jedoch keine Tötung mittels eines gemeingefährlichen Mittels. Von der Tatbegehung mittels eines gemeingefährlichen Mittels wird eine „schlichte“ Mehrfachtötung nicht erfasst; eine solche liegt jedenfalls dann vor, wenn sich der Beschuldigte mit Tötungsabsicht gegen eine bestimmte Anzahl von ihm individualisierter Betroffener richtet. Vorliegend nahm der Beschuldigte mit dem Tod der Betroffenen und ihrer Kinder eine versuchte Mehrfachtötung billigend in Kauf.

Anwalt für Strafrecht: Freiwilligkeit des Rücktritts

Eine Erhöhung des Entdeckungsrisikos schließt die Freiwilligkeit beim Rücktritt grundsätzlich nicht aus, da ein Täter die Tat bis zum Eintreffen feststellungsbereiter Dritter grundsätzlich noch ungehindert verwirklichen kann, ohne das für ihn damit eine beachtliche Risikoerhöhung verbunden sein muss.

Der Rücktritt gemäß § 24 StGB stellt als persönlicher Strafaufhebungsgrund eine Möglichkeit dar, die bereits eingetretene Strafbarkeit wegen einer versuchten Straftat rückwirkend wieder aufzuheben. Ausschlaggebende Voraussetzung ist hierbei, dass der Täter freiwillig, also aus autonomen Gründen zurücktritt. Ein Täter darf  mithin nicht durch eine äußere Zwangslage oder inneren seelischen Druck dazu bestimmt werden, die weitere Tatausführung zu unterlassen. Er muss vielmehr subjektiv davon ausgehen, die Tat noch ausführen zu können, sich aber bewusst dagegen entscheiden. Der Bundesgerichtshof musste sich in seinem Urteil vom 10. April 2019 (1 StR 646/18) nun erneut mit der Frage beschäftigen, wann ein Täter freiwillig zurücktritt. Der Angeklagte trat vorliegend mit voller Wucht gegen das Gesicht des Betroffenen. Er hielt es dabei für möglich, dass der Betroffene durch den massiven Fußtritt zu Tode kommen könnte, nahm diese Folge aber billigend in Kauf. Als der Betroffene daraufhin lautstark um Hilfe rief, ließ der Angeklagte von diesem ab und rannte weg. Der Betroffene erlitt durch den Tritt eine komplexe Mittelgesichtsfraktur sowie ausgeprägte Prellmarken und Hämatome im Gesichtsbereich. Der Bundesgerichtshof bejahte im Ergebnis einen strafbefreienden Rücktritt des Angeklagten von einem bedingt vorsätzlichen Versuch des Totschlags. Zwar sei ein Rücktritt dann nicht mehr freiwillig, wenn der Täter von weiteren Tatausführungen Abstand nimmt, weil er das damit verbundene Risiko, entdeckt zu werden, für nicht mehr vertretbar hält. Jedoch steht der Freiwilligkeit i.S.v. § 24 StGB eine solche Erhöhung des Entdeckungsrisikos grundsätzlich nicht entgegen, da der Täter bis zum Eintreffen von feststellungsbereiten Dritten (z.B. der Polizei) grundsätzlich noch ungehindert weitere Tatausführungshandlungen vornehmen kann, ohne dass sich für ihn dabei das Risiko beachtlich erhöhen muss.  Es sei vorliegend nicht hinreichend belegt worden, dass der Angeklagte das Tatrisiko aufgrund der Hilfeschreie des Betroffenen für unvertretbar hoch hielt und nur deshalb flüchtete.

Anwalt für Strafrecht: Notwehr

Im Zuge der Notwehr kann der sofortige Messereinsatz ausnahmsweise auch ohne vorherige Androhung gegenüber dem unbewaffneten Angreifer erforderlich sein, wenn dies bei objektiver Betrachtung der tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Verteidigungshandlung das mildeste Mittel ist.

Notwehr ist die Verteidigung die erforderlich und geboten ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden. In seiner aktuellen Entscheidung vom 17. April 2019 (2 StR 363/18) hatte sich der Bundesgerichtshof mit der Frage auseinander zu setzen, ob auch der sofortige Einsatz eines Messers gegenüber dem Angreifer durch Notwehr gerechtfertigt sein kann oder ob die vorherige Androhung als milderes Mittel vorrangig zu wählen ist. Vorliegend suchte der Betroffene die Gaststätte des Angeklagten auf, obwohl dieser ihm zuvor ein Hausverbot erteilt hatte. Als der Angeklagte ihn aufforderte, die Gaststätte zu verlassen, folgte eine verbale Auseinandersetzung und anschließend ein Gerangel, bei dem der Betroffene den Angeklagten mit seinen Fäusten schlug. Nach einigen Minuten stach der Angeklagte dem Betroffenen dann mit einem Messer in den Oberkörper, um weitere Schläge abzuwenden. Der Bundesgerichtshof verneinte eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung. Die Notwehrhandlung des Angeklagten sei gerechtfertigt gewesen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist eine Notwehrhandlung erforderlich, wenn sie zu einer sofortigen und endgültigen Abwehr des Angriffs führt und es sich bei ihr um das mildeste Abwehrmittel handelt, das dem Angegriffenen in der konkreten Situation zur Verfügung steht. Der sofortige Einsatz eines Messers gegenüber einem unbewaffneten Angreifer ist zwar in der Regel anzudrohen. Dies gilt jedoch nur dann, wenn eine Androhung ebenso gut geeignet wäre, die Einwirkungen des Angreifers sofort zu beenden. Dies sei vorliegend nicht der Fall gewesen. Der einige Zeit andauernde gewalttätige Angriff konnte trotz des Eingreifens von anderen Personen nicht beendet werden. Er sei zudem noch nicht einmal durch die Messerstiche beendet worden, sondern erst, als ein anderer Gast den Geschädigten aus der Gaststätte hinauszerrte. Mithin sei es nicht erkennbar, ob der Geschädigte bei einer Androhung tatsächlich von dem Angeklagten abgesehen hätte. Bei objektiver Betrachtung stellte der sofortige Messereinsatz mithin das mildeste und gleichermaßen erfolgversprechende Mittel dar.

Anwalt für Strafrecht: Fahrlässige Tötung

Justizvollzugsbeamte, die einem Strafgefangenen ohne Sorgfaltspflichtverletzung einen Freigang gewähren, machen sich nicht wegen fahrlässiger Tötung strafbar, wenn der Gefangene beim Freigang einen Mord begeht

Wer durch Fahrlässigkeit den Tod eines Menschen verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, § 222 StGB. Fahrlässig handelt dabei, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt. Erforderlich ist mithin, dass eine objektive Sorgfaltspflichtverletzung vorliegt und dass diese für den Täter auch erkennbar war. Der Bundesgerichtshof befasste sich in seiner aktuellen Entscheidung vom 26. November 2019 (2 StR 557/18) mit der Frage, ob sich Justizvollzugsbeamte wegen fahrlässiger Tötung strafbar machen, wenn sie einem Häftling Freigang gewähren, der daraufhin eine andere Person tötet. In dem vorliegenden Fall tötete ein Häftling eine junge Frau, als er während dem von den zuständigen Justizvollzugsbeamten genehmigten Freigang vor der Polizei flüchtete und mit rasanter Geschwindigkeit als „Geisterfahrer“ auf die Gegenfahrbahn fuhr. Der überlebende Häftling wurde wegen dieser Tat unter anderem wegen Mordes verurteilt. Der Bundesgerichtshof verneinte jedoch eine Strafbarkeit der Justizvollzugsbeamten wegen fahrlässiger Tötung. Die Entscheidung, dem Häftling Lockerungen in Form von Freigängen zu gewähren, sei nicht sorgfaltspflichtwidrig gewesen. Den Justizvollzugsbeamten komme bei jeder Entscheidung über vollzugsöffnende Maßnahmen bei der Abwägung zwischen der Sicherheit der Allgemeinheit einerseits und dem grundrechtlich geschützten Resozialisierungsinteresse eines Strafgefangenen andererseits ein gewisser Beurteilungsspielraum zu. Dieser sei vorliegend nicht überschritten worden, da die Angeklagten aus der maßgeblichen Sicht zum damaligen Zeitpunkt alle relevanten Aspekte berücksichtigt hatten. Zudem sei auch eine objektive Vorhersehbarkeit des konkreten Taterfolgs nicht gegeben. Ein Fluchtverlauf, bei dem ein Häftling einen vorsätzlichen Mord unter Verwirklichung des Mordmerkmals der Gemeingefährlichkeit begeht, liege so außerhalb der gewöhnlichen Erfahrung, dass mit ihm nicht gerechnet werden müsse.