Anwalt für Strafrecht: Vorsatz bei unerheblicher Abweichung vom Kausalverlauf

Ein vollendeter Mord oder Totschlag kann auch dann vorliegen, wenn der Täter das Opfer mit bedingtem Tötungsvorsatz angreift, später die vermeintliche Leiche beseitigt und erst dadurch den Tod verursacht, ohne dabei noch an diese Möglichkeit zu denken.

Dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 26.04.1960 – 5 StR 77/60 lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die Angeklagte stopfte dem Opfer zwei Hände voll Sand in den Mund, um es am Schreien zu hindern. Dabei handelte sie mit bedingtem Tötungsvorsatz. Das Opfer verlor daraufhin das Bewusstsein, die Angeklagte ging jedoch davon aus, das Opfer getötet zu haben. Zur Beseitigung der vermeintlichen Leiche warf die Angeklagte das Opfer in eine Jauchegrube. Im Nachhinein stellte sich heraus, dass das Opfer nicht zuvor erstickt, sondern erst in der Grube ertrunken ist.

Daraus ergibt sich folgendes Problem: Das Tun des Täters besteht aus mehreren Handlungsabschnitten. Der Täter geht aufgrund eines Irrtums davon aus, dass der Erfolg bereits nach dem ersten Abschnitt eingetreten ist, tatsächlich ist er aber erst nach dem zweiten Abschnitt eingetreten. Es stellt sich die Frage, ob in solchen Konstellationen noch von einer vorsätzlichen Tötung ausgegangen werden kann.

Der BGH bejaht dies. Dabei lehnt er jedoch, anders als das Schwurgericht Oldenburg, einen bei der Angeklagten während der gesamten Tat vorliegenden Generaldolus ab. Nähme man solch einen Vorsatz an, würde man behaupten, die Angeklagte handelte auch noch während des zweiten Handlungsabschnitts, wo sie bereits vom Tod des Opfers überzeugt war, mit bedingtem Tötungsvorsatz. Davon kann jedoch nicht ausgegangen werden, da der Vorsatz der Angeklagten aufgrund jener Überzeugung während der zweiten Handlung bereits erledigt war.

Stattdessen begründet der BGH die vollendete Tötung damit, dass die Angeklagte bei der ersten Handlung mit bedingtem Tötungsvorsatz handelte und dadurch den Tod des Opfers zumindest mittelbar verursachte. Denn aufgrund dessen Bewusstseinsverlusts hielt die Angeklagte das Opfer für tot und warf es in die Grube. Zu diesem Vorgang, der den Tod unmittelbar bewirkte, wäre es ohne die frühere Handlung nicht gekommen, weshalb sie als erfolgsursächlich angesehen werden muss. Die Angeklagte hat den Erfolg somit mit bedingtem Tötungsvorsatz herbeigeführt, auch wenn er auf eine andere Weise eingetreten ist, als sie es für möglich gehalten hatte. Diese Abweichung vom vorgestellten Ursachenablauf ist aber nur gering und rechtlich ohne Bedeutung.

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