Urteile und Entscheidungen im Strafrecht

Auf dieser Seite finden Sie den vollständigen Text der Entscheidungen, die für die Strafrechtskanzlei Dietrich relevant sind.

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Anwalt für Strafrecht: Körperverletzung

Ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit ist als Körperverletzung zu bewerten, auch wenn er in heilender Absicht erfolgt.

Der Beschuldigte in dem, dem Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 26. Mai 2020 (2 StR 434/19) zugrunde liegenden Sachverhalt, war Pflegekraft in einem Altenpflegeheim. Im Rahmen dieser Tätigkeit verabreichte er dem im Endstadium an Lungenkrebs erkrankten Betroffenen Morphin in einer Dosis von 10 mg. Hiermit wollte er dessen Schmerzen lindern. Ärztlich verordnet war lediglich eine Dosis von 5 mg. Er fragte nicht, ob der Betroffene eine Spritze wolle. Erst recht fragte der Beschuldigte nicht, ob der Betroffene eine Spritze mit der doppelten Dosierung wolle. Auch den gesetzlichen Betreuer des Betroffenen befragte der Beschuldigte nicht. Er injizierte sodann dem nicht an Morphin gewöhnten Betroffenen zehn Milligramm Morphin, wodurch dessen Schmerzen gelindert jedoch seine Atmung beeinträchtigt wurde. Das Verhalten des Beschuldigten gab dem BGH Anlass, sich damit auseinanderzusetzen, ob ein in Heilabsicht vorgenommenes Verhalten eine Körperverletzung darstellen kann. Wegen Körperverletzung macht sich ein Beschuldigter strafbar, welcher den Betroffenen an seiner Gesundheit schädigt. Eine Gesundheitsschädigung ist jedes Hervorrufen oder Steigern eines pathologischen Zustandes. Der BGH führte aus, dass ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit als Körperverletzung zu bewerten ist, auch wenn er in heilender Absicht erfolgt. Selbst ein im Einklang mit den Regeln der ärztlichen Kunst vorgenommener Eingriff erfüllt den Straftatbestand. Er kann nur durch wirksam erklärte oder mutmaßliche Einwilligung des Patienten gerechtfertigt werden.

Anwalt für Strafrecht: Raub/Freiheitsberaubung

Eine Freiheitsberaubung tritt im Wege der Gesetzeskonkurrenz hinter einem Raub nur insoweit zurück, als sie das tatbestandsmäßige Mittel zu dessen Begehung ist.

Der Bundesgerichtshof hatte sich in seinem Urteil vom 10. September 2020 (4 StR 14/20) mit der Frage auseinander zu setzten, wann eine Freiheitsberaubung im Wege der Gesetzeskonkurrenz hinter einem Raub zurücktritt. Es wirkt sich zugunsten des Beschuldigten aus, wenn eine verwirklichte Straftat als mitverwirklicht im Wege der Gesetzeskonkurrenz hinter einer anderen Straftat zurücktritt. Der Beschuldigte in dem, dem Urteil des BGHs zugrunde liegenden Sachverhalt, drang gemeinsam mit einem Dritten in das Haus des Betroffenen ein, um einen Einbruch zu begehen. Als sie den Betroffenen im Wohnzimmer antrafen brachten sie ihn durch einen Schlag auf den Rücken zu Boden. Der Dritte bewachte und fesselte ihn, während dem der Beschuldigte das Haus nach Wertgegenständen durchsuchte. Anschließend ließen sie den gefesselten Betroffenen im Wohnzimmer zurück und verriegelten die Tür zwischen Wohnzimmer und Diele. Im Zuge dessen führte der BGH aus, dass durch das Zurücklassen des Beschuldigten und das Verriegeln der Tür zwischen Diele und Wohnzimmer eine Strafbarkeit wegen Freiheitsberaubung infrage kommt. Eine Freiheitsberaubung tritt im Wege der Gesetzeskonkurrenz hinter einem Raub nur insoweit zurück, als sie das tatbestandsmäßige Mittel zu dessen Begehung ist.

Anwalt für Strafrecht: Mord aus Heimtücke

Wer sein argloses Opfer in Tötungsabsicht in eine Falle lockt und es dadurch in eine andauernde wehrlose Lage bringt, tötet auch dann heimtückisch, wenn er die durch die Arglosigkeit herbeigeführte Wehrlosigkeit tatplangemäß vor der Umsetzung seines Tötungsvorhabens zu einem Raub oder einer räuberischen Erpressung ausnutzt.

Heimtückisch im Sinne von § 211 Abs. 2 StGB handelt, wer bei der Tötung eines Menschen dessen auf Arglosigkeit beruhende Wehrlosigkeit ausnutzt. In seiner Entscheidung vom 26. März 2020 (4 StR 134/19), setzte sich der Bundesgerichtshof mit der Frage auseinander, ob das Mordmerkmal der Heimtücke auch dann erfüllt ist, wenn die durch die Arglosigkeit herbeigeführte Wehrlosigkeit tatplangemäß vor der Umsetzung des Tötungsvorhabens zu einem Raub oder einer räuberischen Erpressung ausgenutzt wird. In dem Fall hatten sich zwei Angeklagte dazu entschlossen, Entführungen und Erpressungen zum Nachteil wohlhabender Geschäftsleute zu begehen, um so an hohe Bargeldbeträge zu gelangen. Dabei hatten sie von Anfang an die Absicht, die Opfer nach erfolgreichem Abschluss der Erpressung zu töten. So kam es dann auch. Nachdem die beiden Angeklagten die Mitangeklagte für die Rolle des „Lockvogels“ gewonnen hatten, lockte diese einen wohlhabenden Geschäftsherrn in eine Lagerhalle, wo die beiden anderen Angeklagten diesen überwältigten, ihn fesselten und ihm sein mitgeführtes Bargeld abnahmen. Anschließend erdrosselten sie ihn. Nach Ansicht des Bundesgerichtshofs haben die Angeklagten das Mordmerkmal der Heimtücke erfüllt. Das Heimtückische könne bei einer von langer Hand geplanten und vorbereiteten Tat gerade auch in den Vorkehrungen liegen, die der Täter ergreift, um eine günstige Gelegenheit zur Tötung zu schaffen, sofern sie bei der Ausführung der Tat noch fortwirken. Es sei ausreichend, dass der Täter das Tatopfer unter Ausnutzung von dessen Arglosigkeit im Vorbereitungsstadium der Tat in eine wehrlose Lage bringt, er bereits in diesem Moment mit Tötungsvorsatz handelt und die so geschaffene Wehrlosigkeit bis zur Tatausführung ununterbrochen fortbesteht. So sei es auch hier der Fall gewesen, da der Geschäftsherr, nachdem er in die Falle gelockt worden war, ununterbrochen nicht in der Lage war, sich gegen die Angeklagten zu wehren.

Anwalt für Strafrecht: Beteiligung an einer Schlägerei

Eine tätliche Auseinandersetzung zwischen mehr als zwei Personen verliert erst dann den Charakter einer Schlägerei im Sinne einer Beteiligung an einer Schlägerei, wenn sich so viele Beteiligte entfernen, dass nur noch zwei Personen verbleiben, die aufeinander einschlagen oder in anderer Weise gegeneinander tätlich sind.

Der Bundesgerichtshof setzte sich in seinem Urteil vom 12. Mai 2020 (1 StR 368/19) damit auseinander, wann eine tätliche Auseinandersetzung den Charakter einer Schlägerei im Sinne einer Beteiligung an einer Schlägerei verliert. Eine Schlägerei ist eine mit gegenseitigen Tätlichkeiten verbundene Auseinandersetzung, an der mehr als zwei Personen aktiv mitwirken. Eine Schlägerei kann auch dann anzunehmen sein, wenn nacheinander jeweils nur zwei Personen gleichzeitig wechselseitige Tätlichkeiten verüben, aber insgesamt mehr als zwei Personen beteiligt sind, und zwischen diesen Vorgängen ein so enger innerer Zusammenhang besteht, dass eine Aufspaltung in einzelne „Zweikämpfe“ nicht in Betracht kommt und die Annahme eines einheitlichen Gesamtgeschehens mit mehr als zwei aktiv Beteiligten gerechtfertigt ist. Der Beschuldigte in dem, dem Urteil des BGHs zugrunde liegenden Sachverhalt, griff zusammen mit einem Bekannten in einen zuvor verabredeten Zweikampf zwischen zwei Jugendlichen ein. Aus Anlass des Zweikampfes hatten die beiden Jugendlichen jeweils Bekannte zum Austragungsort mitgebracht. Die Anzahl der anwesenden Sympathisanten betrug 22 Personen. Der Beschuldigte sprang den betroffenen Jugendlichen von hinten an und umklammerte ihn, um dessen Verteidigungsmöglichkeiten einzuschränken. Im Anschluss hieran versetzten ein anderer Bekannter, der andere Jugendliche und ein Dritter dem Betroffenen Schläge und Körperverletzungen. Das Geschehen endete, als der andere Jugendliche dem zu diesem Zeitpunkt wehrlosen Betroffenen drei wuchtige Faustschläge gegen den Kopf versetzte. Im Anschluss zerstreute sich die Gruppe, da eine Passantin drohte die Polizei zu rufen. Der Betroffene verstarb infolge seiner Verletzungen. Nach Auffassung des BGHs machte sich der Beschuldigte wegen Beteiligung an einer Schlägerei strafbar. Diese endete erst mit dem Zerstreuen der Gruppe. Eine tätliche Auseinandersetzung zwischen mehr als zwei Personen verliert erst dann den Charakter einer Schlägerei, wenn sich so viele Beteiligte entfernen, dass nur noch zwei Personen verbleiben, die aufeinander einschlagen oder in anderer Weise gegeneinander tätlich sind. Es lag ein einheitliches Gesamtgeschehen bis zum Abschluss der letzten Gewalthandlungen durch den weiteren Jugendlichen vor.

Anwalt für Strafrecht: Gefährliche Körperverletzung mittels eines Kraftfahrzeugs

Wenn ein Kraftfahrzeug als Werkzeug eingesetzt wird, muss die körperliche Misshandlung bereits durch den Anstoß selbst ausgelöst und die Verletzung auf einen unmittelbaren Kontakt zwischen Fahrzeug und Körper zurückzuführen sein.

Wegen Körperverletzung wird gemäß § 223 StGB mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bestraft, wer eine andere Person körperlich misshandelt oder an der Gesundheit schädigt. Wer die Körperverletzung beispielsweise mittels eines gefährlichen Werkzeugs begeht, wird gemäß § 224 StGB mit einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft. Wann auch ein Kraftfahrzeug als ein solches gefährliches Werkzeug eingesetzt werden kann, beschäftigte auch den Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung vom 14. Juli 2020 (4 StR 194/20). Vorliegend hatte der Angeklagte in suizidaler Absicht mit einer Geschwindigkeit von rund 125 km/h eine Frontalkollision mit zwei anderen Kraftfahrzeugen herbeigeführt, wodurch  drei Insassen verletzt wurden. Der Bundesgerichtshof führte in seiner Entscheidung aus, dass es erforderlich ist, dass die Körperverletzung durch ein von außen unmittelbar auf den Körper einwirkendes gefährliches Tatmittel eingetreten ist. Wird ein Kraftfahrzeug als Werkzeug eingesetzt, so müsse die körperliche Misshandlung also bereits durch den Anstoß selbst ausgelöst und die Verletzung auf einen unmittelbaren Kontakt zwischen Fahrzeug und Körper zurückzuführen sein. Verletzungen, die erst durch ein anschließendes Sturzgeschehen oder eine Ausweichbewegung des Tatopfers verursacht worden sind, genügen insoweit nicht. Vorliegend seien die Verletzungen der Insassen der beiden Kraftfahrzeuge aber unmittelbar auf die Frontalkollisionen mit diesen Fahrzeugen zurückzuführen, weshalb eine Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung keinen rechtlichen Bedenken begegne.

Anwalt für Strafrecht: Heimtückische Tötung eines Kleinkindes

In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist anerkannt, dass es bei der Tötung eines wenige Wochen oder Monate alten Kleinkindes für die Frage der Heimtücke nicht auf dessen Arg- und Wehrlosigkeit ankommt, da es aufgrund seines Alters noch zu keinerlei Argwohn oder Gegenwehr fähig ist, sondern auf die Arg- und Wehrlosigkeit eines im Hinblick auf das Kind schutzbereiten Dritten. Schutzbereiter Dritter ist jede Person, die den Schutz eines Kleinkindes vor Leib- und Lebensgefahr dauernd oder vorübergehend übernommen hat und diesen im Augenblick der Tat entweder tatsächlich ausübt oder dies deshalb nicht tut, weil sie dem Täter vertraut oder vom Täter ausgeschaltet wurde. Dafür ist es zwar nicht erforderlich, dass der potentiell schutzbereite Dritte "zugegen" ist, er muss den Schutz allerdings wirksam erbringen können, wofür eine gewisse räumliche Nähe notwendig ist.

Der Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 05.08.2014 – 1 StR 340/14 beruht auf folgendem Sachverhalt: Die Angeklagte tötete ihre 6 Monate alte Tochter, während der Vater des Kindes aus freien Stücken die Wohnung verließ, um zu einem Arzt zu gehen. Der Arzt war ca. 2 km von der Wohnung entfernt.

Für die Bejahung des Heimtückemerkmals ist es erforderlich, dass der Täter eine zur Tatzeit beim Opfer bestehende Arg- und Wehrlosigkeit bewusst zur Tat ausnutzt. Arglos ist, wer sich zum Zeitpunkt der Tat keines Angriffs versieht und wehrlos ist derjenige, dessen Verteidigungsfähigkeit aufgehoben oder erheblich eingeschränkt ist. Die Wehrlosigkeit muss Folge der Arglosigkeit sein. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass es im Rahmen der Heimtücke bei der Tötung eines wenige Monate alten Kleinkindes nicht auf dessen Arg- und Wehrlosigkeit ankommt, sondern auf die eines im Hinblick auf das Kind schutzbereiten Dritten. Schutzbereiter Dritter ist jede Person, die den Schutz eines Kleinkindes vor Leib- und Lebensgefahr dauernd oder vorübergehend übernommen hat und diesen im Augenblick der Tat entweder tatsächlich ausübt oder dies deshalb nicht tut, weil sie dem Täter vertraut oder vom Täter ausgeschaltet wurde. Die Schutzperson muss zwar nicht „zugegen“ sein, jedoch ist eine gewisse räumliche Nähe zum Tatopfer erforderlich.

Die Schwurgerichtskammer des LG Ravensburg hat die Merkmale bezüglich des schutzbereiten Dritten als erfüllt angesehen und das Merkmal der Heimtücke bejaht. Der Vater sei zur Abwehr von Gefahren gegenüber dem Kleinkind bereit gewesen und habe die Versorgung und den Schutz des Kindes im Vertrauen auf die Angeklagte nur für kurze Zeit an sie abgegeben. Während seiner Abwesenheit hatte er sich keines Angriffs gegen sein Kind versehen und diese Situation habe die Angeklagte bewusst ausgenutzt.

Die Revision der Angeklagten hatte Erfolg. Der BGH lehnt das Merkmal der Heimtücke ab. Es fehle an der erforderlichen räumlichen Nähe zwischen Schutzperson und Tatopfer, da der Vater den räumlichen Bereich des Kleinkindes für eine erhebliche Dauer und in einer erheblichen Entfernung verließ, sodass eine Einwirkungsmöglichkeit auf das Geschehen für ihn nicht mehr möglich war. Er könne somit nicht als schutzbereiter Dritter angesehen werden, solange er sich nicht auf Veranlassung der Angeklagten entfernte.

Anwalt für Strafrecht: Gefährliche Körperverletzung

Dass das „Abschütteln“ des Opfers von der Motorhaube eines fahrenden PKWs eine abstrakt lebensgefährliche Behandlung darstellt, versteht sich ohne die Feststellung der gefahrenen Geschwindigkeit nicht von selbst.

Wegen gefährlicher Körperverletzung wird zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren verurteilt, wer eine Körperverletzung mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung begeht, § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB. Hierfür ist nicht notwendig, dass der Geschädigte tatsächlich in Lebensgefahr gerät, sondern, dass die jeweilige Einwirkung nach den Umständen generell dazu geeignet ist, das Leben des Geschädigten zu gefährden. Der Bundesgerichtshof musste sich in seiner Entscheidung vom 24. März 2020 (4 StR 646/19) mit den Voraussetzungen einer das Leben gefährdenden Behandlung beim „Abschütteln“ einer Person von der Motorhaube beschäftigen. Vorliegend wollte der Angeklagte dem Geschädigten einen „Denkzettel verpassen“. Hierfür näherte er sich mit seinem Auto mit höherem Tempo „als die Laufgeschwindigkeit“ dem Geschädigten, um ihn zu Fall zu bringen. Als der Geschädigte den Angeklagten bemerkte, sprang er hoch und fiel auf die Motorhaube des Pkw, woraufhin der Angeklagte Gas gab, um den Geschädigten abzuschütteln. Hierbei nahm er Verletzungen des Geschädigten zumindest billigend in Kauf. Der Geschädigte stürzte auf den Gehweg, wo er in der unmittelbaren Nähe des Fahrzeugs, das der Angeklagte zum Stillstand abgebremst hatte, zum Liegen kam. Er erlitt eine Vielzahl von Schürfwunden. Nach Ansicht des Bundesgerichtshofs versteht sich das Vorliegen einer abstrakt lebensgefährlichen Behandlung nicht von selbst, da keine Feststellungen zu der gefahrenen Geschwindigkeit des Angeklagten getroffen wurden. Die Tatsache, dass der Angeklagte das Fahrzeug nach dem Abwurf des Geschädigten sogleich zum Stillstand abbremsen konnte, könnte insofern aber dafür sprechen, dass die Anfahr- und Abwurfgeschwindigkeit gering war, was wiederrum eher gegen eine abstrakt lebensgefährliche Behandlung sprechen würde. 

Anwalt für Strafrecht: Vorsatz bei unerheblicher Abweichung vom Kausalverlauf

Ein vollendeter Mord oder Totschlag kann auch dann vorliegen, wenn der Täter das Opfer mit bedingtem Tötungsvorsatz angreift, später die vermeintliche Leiche beseitigt und erst dadurch den Tod verursacht, ohne dabei noch an diese Möglichkeit zu denken.

Dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 26.04.1960 – 5 StR 77/60 lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die Angeklagte stopfte dem Opfer zwei Hände voll Sand in den Mund, um es am Schreien zu hindern. Dabei handelte sie mit bedingtem Tötungsvorsatz. Das Opfer verlor daraufhin das Bewusstsein, die Angeklagte ging jedoch davon aus, das Opfer getötet zu haben. Zur Beseitigung der vermeintlichen Leiche warf die Angeklagte das Opfer in eine Jauchegrube. Im Nachhinein stellte sich heraus, dass das Opfer nicht zuvor erstickt, sondern erst in der Grube ertrunken ist.

Daraus ergibt sich folgendes Problem: Das Tun des Täters besteht aus mehreren Handlungsabschnitten. Der Täter geht aufgrund eines Irrtums davon aus, dass der Erfolg bereits nach dem ersten Abschnitt eingetreten ist, tatsächlich ist er aber erst nach dem zweiten Abschnitt eingetreten. Es stellt sich die Frage, ob in solchen Konstellationen noch von einer vorsätzlichen Tötung ausgegangen werden kann.

Der BGH bejaht dies. Dabei lehnt er jedoch, anders als das Schwurgericht Oldenburg, einen bei der Angeklagten während der gesamten Tat vorliegenden Generaldolus ab. Nähme man solch einen Vorsatz an, würde man behaupten, die Angeklagte handelte auch noch während des zweiten Handlungsabschnitts, wo sie bereits vom Tod des Opfers überzeugt war, mit bedingtem Tötungsvorsatz. Davon kann jedoch nicht ausgegangen werden, da der Vorsatz der Angeklagten aufgrund jener Überzeugung während der zweiten Handlung bereits erledigt war.

Stattdessen begründet der BGH die vollendete Tötung damit, dass die Angeklagte bei der ersten Handlung mit bedingtem Tötungsvorsatz handelte und dadurch den Tod des Opfers zumindest mittelbar verursachte. Denn aufgrund dessen Bewusstseinsverlusts hielt die Angeklagte das Opfer für tot und warf es in die Grube. Zu diesem Vorgang, der den Tod unmittelbar bewirkte, wäre es ohne die frühere Handlung nicht gekommen, weshalb sie als erfolgsursächlich angesehen werden muss. Die Angeklagte hat den Erfolg somit mit bedingtem Tötungsvorsatz herbeigeführt, auch wenn er auf eine andere Weise eingetreten ist, als sie es für möglich gehalten hatte. Diese Abweichung vom vorgestellten Ursachenablauf ist aber nur gering und rechtlich ohne Bedeutung.

Anwalt für Strafrecht: Mord - Habgier

Habgierig handelt ein Beschuldigter, welcher die Tötung allein auf eine langfristige Versorgung durch eine staatliche Einrichtung ausrichtet. Dies ist unter anderem dann der Fall, wenn der Beschuldigte mit der Tötung eine Inhaftierung und die damit einhergehenden staatlichen Leistungen erlangen möchte.

Wegen Mordes macht sich ein Beschuldigter strafbar, welcher aus Habgier einen anderen Menschen tötet. Habgier bedeutet ein Streben nach materiellen Gütern oder Vorteilen, das in seiner Hemmungslosigkeit und Rücksichtslosigkeit das erträgliche Maß weit übersteigt und das in der Regel durch eine ungehemmte triebhafte Eigensucht bestimmt ist. Voraussetzung hierfür ist, dass sich das Vermögen des Beschuldigten objektiv oder zumindest nach seiner Vorstellung durch den Tod des Betroffenen unmittelbar vermehrt oder dass durch die Tat jedenfalls eine sonst nicht vorhandene Aussicht auf eine Vermögensvermehrung entsteht. In seinem Beschluss vom 19. Mai 2020 (4 StR 140/20) hatte sich der Bundesgerichtshof mit der Frage zu befassen, ob ein Beschuldigter habgierig handelt, welcher mit der Tötung eine Inhaftierung und die mit dieser verbundenen staatlichen Leistungen anstrebt. Der Beschuldigte fuhr mit bedingtem Tötungsvorsatz von hinten mit einem Auto auf den Betroffenen auf. Der vermögenslose und nicht krankenversicherte Beschuldigte beabsichtigte eine schwere Straftat zu begehen, um langfristig Unterkunft, Verpflegung und Krankenversorgung in einer Justizvollzugsanstalt zu erhalten. Nach Auffassung des BGHs handelte der Beschuldigte im Zuge dessen habgierig. Habgierig handelt ein Beschuldigter, welcher die Tötung allein auf eine langfristige Versorgung durch eine staatliche Einrichtung und damit auf eine Verbesserung seiner Vermögenslage im Sinne eines rücksichtslosen Gewinnstrebens ausrichtet. Für die Annahme einer Tötung aus Habgier ist unerheblich, dass der erstrebte Vermögensvorteil nicht unmittelbar aus dem Vermögen des Betroffenen stammen sollte. Ebenso steht einem Mordversuch aus Habgier nicht entgegen, dass der Beschuldigte eine staatliche Versorgung auch auf legale Weise durch Beantragung von Sozialleistungen hätte erreichen können.

Anwalt für Strafrecht: Gefährliche Körperverletzung durch Inbrandsetzen von Kleidung

Ein auf dem Körper des Geschädigten aufliegendes brennendes Material ist dazu geeignet, durch die von ihm ausgehende thermische Wirkung erhebliche Verletzungen auszulösen. Es stellt daher einen gesundheitsschädlichen Stoff im Sinne von § 224 Abs. 1 Nr. 1 StGB dar.

Wegen gefährlicher Körperverletzung macht sich gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 1 StGB strafbar, wer die Körperverletzung durch Beibringung von anderen gesundheitsschädlichen Stoffen begeht. Andere gesundheitsschädliche Stoffe sind Substanzen, die nach ihrer Art und dem konkreten Einsatz zu einer erheblichen Gesundheitsbeschädigung geeignet sind. Der gesundheitsschädliche Stoff ist dem Opfer beigebracht, wenn er durch den Täter so mit dem Körper in Verbindung gebracht worden ist, dass er seine gesundheitsschädliche Wirkung entfalten kann. In seiner Entscheidung vom 28. März 2018 setzte sich der Bundesgerichtshof damit auseinander, ob auch ein auf dem Körper des Geschädigten aufliegendes brennendes Material einen gesundheitsschädlichen Stoff darstellt. Vorliegend hatte der Angeklagte das Oberteil des Geschädigten mit einer alkoholartigen Flüssigkeit besprüht und es anschließend in Brand gesetzt, wodurch der Geschädigte erhebliche Verletzungen erlitt und großflächige Narben davon trug. Dem Bundesgerichtshof zufolge sei das auf dem Körper des Geschädigten aufliegende brennende Material, aus dem das Oberteil gefertigt war, dazu geeignet, durch die von ihm ausgehende thermische Wirkung erhebliche Verletzungen auszulösen, weshalb es einen gesundheitsschädlichen Stoff darstelle. Ausreichend für das Merkmal des „Beibringens“ sei zudem, dass der Angeklagte eine Ursache dafür gesetzt hat, dass die brennende Substanz ihre gesundheitsschädliche thermische Wirkung an dem Körper des Geschädigten entfalten konnte.