Urteile und Entscheidungen im Strafrecht

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Anwalt für Strafrecht: versuchter Totschlag

Für die Freiwilligkeit beim Rücktritt ist das Vorstellungsbild des Täters, noch weitere Ausführungshandlungen ausführen zu können, entscheidend.

Wann ein strafbefreiender Rücktritt noch möglich ist, musste der Bundesgerichtshof (1 StR 330/22) in seinem Beschluss vom 16. November 2022 entscheiden. Im hiesigen Fall hat der obdachlose Angeklagte ein hochwertiges Fahrrad gestohlen. Als er danach vom Eigentümer gestellt worden war, holte er ein Messer aus seiner Bauchtasche und stach damit einen hinzukommenden Passanten 2 Mal in Richtung des Bauches. Der Angeklagte folgte dem wegrennenden Geschädigten mit dem Messer, kehrte dann aber um, um seine zurückgebliebenen Sachen zu sichern. Das Landgericht Ulm ist von einem fehlgeschlagenen Tötungsversuch ausgegangen und lehnte einen Rücktritt hab. Der Bundesgerichtshof stellt jedoch in seinem Beschluss fest, dass sich die Verneinung eines strafbefreiendes Rücktritts als rechtsfehlerhaft erweist, da keine hinreichenden Feststellungen zum Vorstellungsbild des Angeklagten nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung getroffen wurden. Es erscheint demnach nicht ausgeschlossen, dass der Angeklagte nach seinem Vorstellungsbild den weglaufenden Zeugen noch hätte einholen können, was für die Freiwilligkeit des Rücktritts entscheidend ist. Der aufgezeigte Rechtsfehler führt zur Aufhebung des Urteils.

Anwalt für Strafrecht: Mord

Es ist nicht geboten, zu Gunsten des Angeklagten Tatvarianten zu unterstellen, für die keine konkreten Anhaltspunkte vorliegen.

In seinem Beschluss vom 25. Januar 2023 beschäftigte sich der Bundesgerichtshof (6 StR 163/22) mit dem möglichen Vorliegen von Mordmerkmalen. Im hiesigen Fall trennte sich die Nebenklägerin vom Angeklagten und zog mit der gemeinsamen Tochter aus dem Haus aus. Jedes zweite Wochenende wohnte die Tochter nach der Trennung beim Angeklagten. An einem dieser Wochenenden drückte der Angeklagte die gemeinsame Tochter mit Tötungsabsicht in die gefüllte Badewanne, sodass sie das Bewusstsein verlor. Daraufhin würgte er sie, bis der Tod des Kindes eintrat und unternahm anschließend einen Suizidversuch. Der Angeklagte wurde vom Landgericht Cottbus für diese Tat wegen Totschlags verurteilt. Die Ablehnung der Mordmerkmale der Heimtücke und der niedrigen Beweggründe begegnen jedoch nach Auffassung des Bundesgerichtshofes durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Demnach sei die Annahme des Landgerichts, dass der Angeklagte dem Tatopfer möglicherweise offen feindselig gegenübergetreten sei, ausschließlich spekulativ. Wenn sich eine Annahme jedoch nur als spekulativ erweist, kann sie auch nicht als Folge des Zweifelssatzes zu Gunsten des Angeklagten den Urteilsfeststellungen zu Grunde gelegt werden. Folglich halten die Erwägungen, mit denen die Voraussetzungen der Heimtücke verneint wurden, rechtlicher Prüfung nicht stand. Bezüglich der Ablehnung der niedrigen Beweggründe führt der Bundesgerichtshof aus, dass ein im vorliegenden Fall naheliegendes Motiv sei, dass der Angeklagte seine Ex-Frau durch die Tötung des Kindes bestrafen wollte. Dieses Motiv würde zum Vorliegen von niedrigen Beweggründen führen, womit sich das Landgericht jedoch nicht ausreichend beschäftigt hat.

Anwalt für Strafrecht: Mord

Das Mordmerkmal der Tötung mit einem gemeingefährlichen Mittel erfasst die „schlichte“ Mehrfachtötung nicht.

In seinem Beschluss vom 10. November 2022 musste sich der Bundesgerichtshof (4 StR 192/22) mit dem Mordmerkmal der Tötung mit einem gemeingefährlichen Mittel beschäftigen. Der Angeklagte im vorliegenden Fall fuhr mit seinem Auto in die Menschenmenge des Rosenmontagszugs, um eine möglichst große Anzahl von Personen zu töten. Verletzt wurden dabei über 80 Personen. Das Landgericht Kassel verurteilte den Angeklagten daraufhin unter anderem wegen versuchten Mordes in 89 tateinheitlich zusammentreffenden Fällen. Als Mordmerkmal stellte das Landgericht die Heimtücke und die Tötung mit einem gemeingefährlichen Mittel fest. Auch der Bundesgerichtshof stellte klar, dass diese im hiesigen Fall vorliegen, erörterte jedoch genauer das Mordmerkmal der Tötung mit einem gemeingefährlichen Mittel und grenzte es von der Mehrfachtötung ab. Demnach ist das Mordmerkmal erfüllt, wenn der Täter ein Tötungsmittel einsetzt, das in der konkreten Tatsituation eine unbestimmte Mehrzahl von Menschen an Leib und Leben gefährden kann, weil der die Ausdehnung der Gefahr nicht in seiner Gewalt hat. Das Mordmerkmal umfasst jedoch nicht die Mehrfachtötung, die vorliegt, wenn sich der Täter mit Tötungsabsicht gegen eine Mehrzahl von ihm individualisierter Opfer richtet und dabei keine Zufallsopfer in Kauf genommen werden. Der Angeklagte im hiesigen Fall hatte nach Auffassung des Bundesgerichtshof insbesondere keine Kontrolle darüber, welche der Personen durch umherfliegende Gegenstände in Lebens- und Lebensgefahr geraten würden, sodass das Mordmerkmal der Tötung mit einem gemeingefährlichen Mittel hier einschlägig ist.

Anwalt für Strafrecht: Totschlag

Für die Annahme eines besonders schweren Falls des Totschlags muss das in der Totschlagstat zum Ausdruck kommende Verschulden des Täters so außergewöhnlich groß sein, dass die Ahndung aus dem Normalstrafrahmen von bis zu 15 Jahren nicht mehr ausreicht.

Der Bundesgerichtshof (4 StR 95/21) musste sich in seinem Beschluss vom 14. Oktober 2021 mit dem besonders schweren Fall des Totschlags nach § 212 Abs. 2 StGB auseinandersetzen. Im hiesigen, der Entscheidung des Bundesgerichtshofes zugrundeliegenden Sachverhalt quälte der Angeklagte den Geschädigten ohne eine Tötungsabsicht, bis er ihn mit dem Standfuß einer Lampe  zweimal mit Tötungsabsicht auf die Stirn schlug. An diesen Schlägen verstarb der Geschädigte später. Das Vorliegen eines Mordmerkmals wurde vom Landgericht Bochums verneint. Die Staatsanwaltschaft  beanstandete mit einer Sachrüge, dass das Schwurgericht einen schweren Fall des Totschlags in den Urteilsgründen nicht ausdrücklich erwähnt hat. Der Bundesgerichtshof stellt in seinem Beschluss fest, dass es keinen durchgreifenden Erörterungsmangel darstellt, dass das Landgericht sich nicht mit dem Vorliegen eines besonders schweren Falls des Totschlags beschäftigt hat. Demnach war das Verhalten des Angeklagten vor den tödlichen Schlägen nach Feststellungen des Landgerichts nicht von einem Tötungsvorsatz umfasst und diente auch nicht der Vorbereitung der Tötung des Geschädigten. Somit war die Brutalität kein Umstand, der unmittelbar die Totschlagstat charakterisierte und war für das Vorliegen des § 212 Abs. 2 StGB nur von untergeordneter Bedeutung.

Anwalt für Strafrecht: Versuchter Totschlag

Bei der Bewertung der Notwehr muss auch die Schnelligkeit des Kampfgeschehens berücksichtigt werden.

In seinem Beschluss vom 4. August 2022 hat sich der Bundesgerichtshof (5 StR 175/22) mit der Notwehr nach § 32 StGB auseinandergesetzt. Im hiesigen Sachverhalt kam es zwischen dem Angeklagten und dem Nebenkläger zu einer Auseinandersetzung, nachdem der Nebenkläger den Angeklagten aufsuchte, um ihn in einem Faustkampf zu verprügeln. Während der Nebenkläger sein Vorhaben in die Tat umsetzte, holte der Angeklagte ein Messer heraus und stach damit 6 Mal zu, sodass der Nebenkläger intensivmedizinisch versorgt werden musste. Daraufhin wurde der Angeklagte wegen versuchten Totschlags verurteilt. Eine Notwehr verneinte das Landgericht Hamburg, wofür unter anderem die Vielzahl und die Intensität der zugefügten Messerstiche als Begründung aufgezählt wurden. Der Bundesgerichtshof stellt jedoch fest, dass die Ablehnung der Notwehr rechtlicher Überprüfung nicht standhält. Demnach findet die Annahme, dass es dem Angeklagten möglich gewesen wäre, das Messer auf weniger gefährliche Art und Weise einzusetzen, im Urteil keine Stütze, da das Kampfgeschehen als hochdynamisch beschrieben wurde. Eine Notwehr ist mit den getroffenen Feststellungen und der vorliegenden Begründung somit nicht auszuschließen.

Anwalt für Strafrecht: Totschlag

Für die Gegenwärtigkeit des Angriffs bei der Notwehr ist nicht nur die Vornahme der Verletzungshandlung entscheidend.

In seinem Beschluss vom 6. Oktober 2021 hat sich der Bundesgerichtshof (6 StR 348/21) mit der Gegenwärtigkeit als Voraussetzung der Notwehr beschäftigt. Im hiesigen, der Entscheidung des Bundesgerichtshofes zugrundeliegenden Sachverhalt suchten der später getötete G und sein Freund M bewaffnet mit Messer und Schraubenzieher den Angeklagten in seiner Wohnung auf, um ihn dort zu verletzen. Als der Angeklagte die Wohnungstür aufmachte, forderten sie ihn auf, mit ihnen vor das Haus zu kommen. Der Angeklagte schloss sofort die Tür, woraufhin G und F von draußen gegen die Tür schlugen. Der Angeklagte holte dann ein Messer aus der Küche, machte die Tür wieder auf und stach mit dem Messer erst G in den Oberbauch und im Anschluss den M. G verstarb wenig später. Das Landgericht Halle lehnte eine Rechtfertigung durch Notwehr mit der Begründung ab, dass nach dem Schließen der Wohnungstür keine konkrete Gefahr bestanden habe. Die Verurteilung des Angeklagten hält rechtlicher Überprüfung jedoch nicht stand. Der Bundesgerichtshof wendet zum einen ein, dass G und M weiterhin gegen die Tür klopften und sich Zugang verschaffen könnten und die Gefahr somit nicht klar beendet war. Zum anderen ergeben die bisherigen Feststellungen, dass zum Zeitpunkt der Messerstiche ein rechtswidriger Angriff unmittelbar bevorstand und dass dies die Gegenwärtigkeit des Angriffs begründet.

Anwalt für Strafrecht: Versuchter Mord

Das Mordmerkmal des niedrigen Beweggrundes liegt dann vor, wenn ein Mensch aufgrund ideologischer Überzeugungen getötet wird.

Im Beschluss des Bundesgerichtshofes (AK 27/22) vom 6. September 2022 stand der Mord aus niedrigen Beweggründen im Mittelpunkt. Im hiesigen Fall ordnete der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofes die Fortdauer der Untersuchungshaft an und begründete indessen den dringenden Verdacht des versuchten Mordes. Der Angeschuldigte im hiesigen Fall fuhr mit seinem Auto einen Polizisten an, der dadurch schwer verletzt wurde. Das tat der Angeschuldigte aufgrund ideologischer Überzeugungen und fühlte sich aufgrund seiner eigenen abweichenden Rechtslage gerechtfertigt. Damit wollte er nach Auffassung des Bundesgerichtshofes seine unzutreffende Rechtsauffassung gewaltsam durchzusetzen und sich aus egoistischen Motiven staatlicher Einflussnahme entziehen. Ein solches Motiv stellt demnach einen niedrigen Beweggrund im Sinne des § 211 Abs. 2 StGB dar.

Anwalt für Strafrecht: Mord

Das Tatopfer ist arglos, wenn es bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs nicht mit einem gegen seine körperliche Unversehrtheit gerichteten Angriff rechnet.

Mit dem Mordmerkmal der Heimtücke musste sich der Bundesgerichtshof (1 StR 81/22) in seinem Beschluss vom 5. April 2022 beschäftigen. Im vorliegenden Sachverhalt fand der Angeklagte Chat-Nachrichten mit sexuellem Inhalt, die seine Ehefrau mit einem anderen Mann austauschte. Daraufhin stellte er sie zur Rede und gab dann seinen über Jahre angestauten Aggressionen nach und erstach seine Ehefrau mit einem Küchenmesser. Anschließend würgte er sie, um den Eintritt des Todes zu beschleunigen. Das Landgericht München I verurteilte den Angeklagten wegen Mordes unter Annahme des Mordmerkmals der Heimtücke. Die getroffenen Feststellungen tragen  nach Auffassung des Bundesgerichtshofes jedoch nicht das Mordmerkmal der Heimtücke. Bereits die Annahme einer Arglosigkeit in objektiver Hinsicht begegnet Bedenken, da im Gespräch zwischen den beiden klar wurde, dass sie von einer drohenden schweren tätlichen Auseinandersetzung ausging. Zudem lässt sich die Heimtücke nicht allein darauf stützen, dass der Angeklagte durch einen schnellen Messerstich seine Ehefrau überraschen wollte. Auch lässt sich die Heimtücke nicht dadurch begründen, dass der Angeklagte seine Ehefrau in den Hinterhalt locken wollte, da weder festgestellt ist, dass der Angeklagte das Messer vor Beginn des Gesprächs bereitlegte, um es dann einzusetzen, noch, dass er seine Ehefrau zum Sofa lockte, um sie dort zu erstechen.

Anwalt für Strafrecht: Versuchter Totschlag

Eine Schuldunfähigkeit nach § 20 StGB durch einen Eifersuchtswahn erfordert eine umfassende Würdigung der Befundtatsachen.

Mit der Frage, wann ein Eifersuchtswahn zur Schuldunfähigkeit führt, hat sich der Bundesgerichtshof (6 StR 470/21) in seinem Beschluss vom 18. Mai 2022 beschäftigt. Im hiesigen, der Entscheidung des Bundesgerichtshofes zugrundeliegenden Sachverhalt entwickelte der Angeklagte die wahnhafte Idee, seine Ehefrau habe ein Verhältnis mit dem Nebenkläger. In Folge dieser Idee suchte der Angeklagte den Nebenkläger auf und stach ihm mit einem Messer in den Bauch. Dieser wurde durch den Angriff lebensgefährlich verletzt, konnte aber überleben. Nach dem Landgericht Saarbrücken lag darin ein versuchter Totschlag; es sprach den Angeklagten jedoch frei, da seine Steuerungsfähigkeit bei der Tat womöglich vollständig aufgehoben gewesen sei. Demnach könne nicht ausgeschlossen werden, dass der Angeklagte bei der Tat unter dem Bann seines „Eifersuchtswahns“ gestanden habe. Nach Auffassung des Bundesgerichtshofes hält die Schuldfähigkeitsprüfung rechtlicher Überprüfung in mehrfacher Hinsicht jedoch nicht stand. Zum einen sei es zu keiner umfassenden Erörterung und Würdigung der Befundtatsachen gekommen. Zum anderen ergibt sich aus dem Urteil nicht, ob der angenommene Eifersuchtswahn einer „wahnhaften psychotischen Störung“ der krankhaften seelischen Störung oder der schweren anderen seelischen Störung angehört, was jedoch nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes nicht offenbleiben darf.

Anwalt für Strafrecht: Totschlag

Bedingter Tötungsvorsatz muss unter Berücksichtigung der Gefährlichkeit der Tathandlung und der Wahrscheinlichkeit des Erfolgseintritts beurteilt werden, aber auch die Einzelfallumstände müssen beachtet werden.

In seinem Beschluss vom 23. März 2022 hat sich der Bundesgerichtshof (6 StR 343/21) mit dem bedingten Tötungsvorsatz beschäftigt. Im vorliegenden Fall würgte der Angeklagte die Geschädigte etwa zwei Minuten in Folge eines Streits, bis er durch einen Zeugen von ihr getrennt wurde. Das Landgericht Bamberg stellte eine gefährliche Körperverletzung fest und verneinte einen bedingten Tötungsvorsatz, da sich der Angeklagte nicht mit dem Tod seiner Frau abfand und diesem auch nicht gleichgültig gegenüber stand. Außerdem lag keine konkrete Lebensgefahr vor. Der Bundesgerichtshof stimmte dem zu und stellte fest, dass vorliegend eine Gesamtschau der bedeutsamen objektiven und subjektiven Tatumstände vorgenommen wurde. Außerdem weist es darauf hin, dass die Geschädigte das Bindeglied zwischen dem Angeklagten und dem gemeinsamen Sohn war und der Angeklagte dem Tod der Geschädigten somit nicht gleichgültig gegenüber stand.