Urteile und Entscheidungen im Strafrecht

Auf dieser Seite finden Sie den vollständigen Text der Entscheidungen, die für die Strafrechtskanzlei Dietrich relevant sind.

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Anwalt für Strafrecht: Pflichtverteidigung

Bei der notwendigen Verteidigung ist das in Art. 6 Abs. 3 Buchst. c EMRK gewährleistete Recht auf Selbstverteidigung nicht berührt.

In seinem Beschluss vom 15. November 2022 hat sich der Bundesgerichtshof (StB 51/22) mit der Pflichtverteidigung beschäftigt. Der Ermittlungsrichter des BGH hatte der Beschuldigten, die mutmaßlich der „Reichsbürgerszene“ angehört, einen Pflichtverteidiger bestellt. Dagegen wendete sich diese mit ihrer sofortigen Beschwerde, in der sie vorgebracht hatte, keinen Rechtsanwalt zu benötigen und sich selbst verteidigen zu wollen. Der Bundesgerichtshof stellt jedoch in seinem Beschluss fest, dass die sofortige Beschwerde unzulässig ist. Das Recht auf Selbstverteidigung, das der Art. 6 Abs. 3 Buchst. c EMRK gewährleistet, bleibt in Fällen der notwendigen Verteidigung unberührt. Eine Beschwerde diesbezüglich kommt demnach nur in Betracht, wenn der bestellte Verteidiger wegen mangelnder Eignung oder wegen Interessengegensatzes unfähig erscheint, die Verteidigung ordnungsgemäß zu führen oder der Beschuldigte in seinem Recht auf Bezeichnung des zu bestellenden Verteidigers und dessen Beiordnung aus § 142 Abs. 5 S. 1 und 3 StPO betroffen ist.

Anwalt für Strafrecht: Die Jugendstrafe

Auch auf Nachtatverhalten kann für das Fortbestehen einer schädlichen Neigung verwiesen werden, jedoch muss dieses prozessordnungsgemäß in der Hauptverhandlung eingeführt und festgestellt werden.

Die Jugendstrafe nach § 17 JGG stand im Mittelpunkt des Beschlusses des Bundesgerichtshofes (2 StR 435/21) vom 1. Juni 2022. Der Angeklagte wurde vom Landgericht Bonn wegen versuchten schweren Raubes und weiteren Straftaten zu einer Jugendstrafe von 4 Jahren verurteilt. Die Erwägungen des Landgerichts zum Vorliegen schädlicher Neigungen und zur Höhe der verhängten Jugendstrafe halten revisionsrechtlicher Prüfung nicht stand. Für die Begründung einer schädlichen Neigung nach § 17 Abs. 2 JGG wurde demnach unter anderem angeführt, dass dem Angeklagten während der Hauptverhandlung verbotene Gegenstände zugesteckt wurden, die dieser in die JVA schmuggeln wollte. Dazu führt der Bundesgerichtshof aus, dass für das Fortbestehen der schädlichen Neigung zwar auf Nachtatverhalten verwiesen werde kann, jedoch muss dieses auch prozessordnungsgemäß festgestellt oder in einem anderen Verfahren bereits rechtskräftig abgeurteilt worden sein. Da das vorliegend nicht der Fall war, führt der aufgezeigte Rechtsfehler zur Aufhebung des Ausspruchs über die Höhe der Jugendstrafe.

Anwalt für Strafrecht: Schwerer Raub

Die Benutzung einer Scheinwaffe begründet keinen minder schweren Fall des schweren Raubes.

In seinem Urteil vom 20. Juli 2022 hat sich der Bundesgerichtshof (2 StR 34/22) mit der Benutzung einer Scheinwaffe im Kontext eines schweren Raubes befasst. Der Angeklagte im hiesigen Fall befand sich in einer angespannten finanziellen Lage und lockte Freier mit der Aussicht auf seine Lebensgefährtin, die sich als Prostituierte ausgab, an entlegene Orte. Mit einer Scheinwaffe bedrohte er diese dann, um an die vereinbarte Entlohnung von 300,00 € zu kommen. Das Landgericht Gießen sah darin lediglich einen minder schweren Fall des schweren Raubes, da der Angeklagte keine echte Waffe benutzte. Die Revision der Staatsanwaltschaft hatte Erfolg. Der Bundesgerichtshof sah darin keinen minder schweren Fall, sodass die Strafzumessung hier einen den Angeklagten begünstigenden Rechtsfehler aufweist. Die Strafkammer durfte demnach nicht bei der Prüfung des minder schweren Falles nach § 250 Abs. 3 StGB auf die Scheinwaffe abstellen, da für diese Fälle der § 250 Abs. 1 Nr. 1b StGB geschaffen wurde, der auch vorliegt, wenn der Täter eines Raubes eine nicht funktionsfähige Waffe mit sich führt.

Anwalt für Strafrecht: Totschlag

Für die Annahme eines besonders schweren Falls des Totschlags muss das in der Totschlagstat zum Ausdruck kommende Verschulden des Täters so außergewöhnlich groß sein, dass die Ahndung aus dem Normalstrafrahmen von bis zu 15 Jahren nicht mehr ausreicht.

Der Bundesgerichtshof (4 StR 95/21) musste sich in seinem Beschluss vom 14. Oktober 2021 mit dem besonders schweren Fall des Totschlags nach § 212 Abs. 2 StGB auseinandersetzen. Im hiesigen, der Entscheidung des Bundesgerichtshofes zugrundeliegenden Sachverhalt quälte der Angeklagte den Geschädigten ohne eine Tötungsabsicht, bis er ihn mit dem Standfuß einer Lampe  zweimal mit Tötungsabsicht auf die Stirn schlug. An diesen Schlägen verstarb der Geschädigte später. Das Vorliegen eines Mordmerkmals wurde vom Landgericht Bochums verneint. Die Staatsanwaltschaft  beanstandete mit einer Sachrüge, dass das Schwurgericht einen schweren Fall des Totschlags in den Urteilsgründen nicht ausdrücklich erwähnt hat. Der Bundesgerichtshof stellt in seinem Beschluss fest, dass es keinen durchgreifenden Erörterungsmangel darstellt, dass das Landgericht sich nicht mit dem Vorliegen eines besonders schweren Falls des Totschlags beschäftigt hat. Demnach war das Verhalten des Angeklagten vor den tödlichen Schlägen nach Feststellungen des Landgerichts nicht von einem Tötungsvorsatz umfasst und diente auch nicht der Vorbereitung der Tötung des Geschädigten. Somit war die Brutalität kein Umstand, der unmittelbar die Totschlagstat charakterisierte und war für das Vorliegen des § 212 Abs. 2 StGB nur von untergeordneter Bedeutung.

Anwalt für Strafrecht: Versuchter Totschlag

Bei der Bewertung der Notwehr muss auch die Schnelligkeit des Kampfgeschehens berücksichtigt werden.

In seinem Beschluss vom 4. August 2022 hat sich der Bundesgerichtshof (5 StR 175/22) mit der Notwehr nach § 32 StGB auseinandergesetzt. Im hiesigen Sachverhalt kam es zwischen dem Angeklagten und dem Nebenkläger zu einer Auseinandersetzung, nachdem der Nebenkläger den Angeklagten aufsuchte, um ihn in einem Faustkampf zu verprügeln. Während der Nebenkläger sein Vorhaben in die Tat umsetzte, holte der Angeklagte ein Messer heraus und stach damit 6 Mal zu, sodass der Nebenkläger intensivmedizinisch versorgt werden musste. Daraufhin wurde der Angeklagte wegen versuchten Totschlags verurteilt. Eine Notwehr verneinte das Landgericht Hamburg, wofür unter anderem die Vielzahl und die Intensität der zugefügten Messerstiche als Begründung aufgezählt wurden. Der Bundesgerichtshof stellt jedoch fest, dass die Ablehnung der Notwehr rechtlicher Überprüfung nicht standhält. Demnach findet die Annahme, dass es dem Angeklagten möglich gewesen wäre, das Messer auf weniger gefährliche Art und Weise einzusetzen, im Urteil keine Stütze, da das Kampfgeschehen als hochdynamisch beschrieben wurde. Eine Notwehr ist mit den getroffenen Feststellungen und der vorliegenden Begründung somit nicht auszuschließen.

Anwalt für Strafrecht: Totschlag

Für die Gegenwärtigkeit des Angriffs bei der Notwehr ist nicht nur die Vornahme der Verletzungshandlung entscheidend.

In seinem Beschluss vom 6. Oktober 2021 hat sich der Bundesgerichtshof (6 StR 348/21) mit der Gegenwärtigkeit als Voraussetzung der Notwehr beschäftigt. Im hiesigen, der Entscheidung des Bundesgerichtshofes zugrundeliegenden Sachverhalt suchten der später getötete G und sein Freund M bewaffnet mit Messer und Schraubenzieher den Angeklagten in seiner Wohnung auf, um ihn dort zu verletzen. Als der Angeklagte die Wohnungstür aufmachte, forderten sie ihn auf, mit ihnen vor das Haus zu kommen. Der Angeklagte schloss sofort die Tür, woraufhin G und F von draußen gegen die Tür schlugen. Der Angeklagte holte dann ein Messer aus der Küche, machte die Tür wieder auf und stach mit dem Messer erst G in den Oberbauch und im Anschluss den M. G verstarb wenig später. Das Landgericht Halle lehnte eine Rechtfertigung durch Notwehr mit der Begründung ab, dass nach dem Schließen der Wohnungstür keine konkrete Gefahr bestanden habe. Die Verurteilung des Angeklagten hält rechtlicher Überprüfung jedoch nicht stand. Der Bundesgerichtshof wendet zum einen ein, dass G und M weiterhin gegen die Tür klopften und sich Zugang verschaffen könnten und die Gefahr somit nicht klar beendet war. Zum anderen ergeben die bisherigen Feststellungen, dass zum Zeitpunkt der Messerstiche ein rechtswidriger Angriff unmittelbar bevorstand und dass dies die Gegenwärtigkeit des Angriffs begründet.

Anwalt für Strafrecht: Versuchter Mord

Das Mordmerkmal des niedrigen Beweggrundes liegt dann vor, wenn ein Mensch aufgrund ideologischer Überzeugungen getötet wird.

Im Beschluss des Bundesgerichtshofes (AK 27/22) vom 6. September 2022 stand der Mord aus niedrigen Beweggründen im Mittelpunkt. Im hiesigen Fall ordnete der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofes die Fortdauer der Untersuchungshaft an und begründete indessen den dringenden Verdacht des versuchten Mordes. Der Angeschuldigte im hiesigen Fall fuhr mit seinem Auto einen Polizisten an, der dadurch schwer verletzt wurde. Das tat der Angeschuldigte aufgrund ideologischer Überzeugungen und fühlte sich aufgrund seiner eigenen abweichenden Rechtslage gerechtfertigt. Damit wollte er nach Auffassung des Bundesgerichtshofes seine unzutreffende Rechtsauffassung gewaltsam durchzusetzen und sich aus egoistischen Motiven staatlicher Einflussnahme entziehen. Ein solches Motiv stellt demnach einen niedrigen Beweggrund im Sinne des § 211 Abs. 2 StGB dar.

Anwalt für Strafrecht: Diebstahl

Ein Geständnis muss auf Richtigkeit überprüft werden und das Beweismaterial ausgeschöpft werden.

Nach der Verurteilung wegen mehrfachen Diebstahls und weiterer Straftaten, musste der Bundesgerichtshof (2 StR 53/22) den Beschluss des Landgerichts Kassel am 6. Juli 2022 auf Rechtsfehler überprüfen. Dabei stellte sich heraus, dass die Verurteilung des Angeklagten in 48 Fällen keinen Bestand hat, weil die Beweiswürdigung des Landgerichts nicht den Mindestanforderungen genügt. Die Strafkammer hatte die Feststellungen ohne Vernehmung von Zeugen oder Verlesung von Urkunden allein auf das Geständnis des Angeklagten gestützt und sich damit ihre Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten auf unzureichender Basis verschafft.

Anwalt für Strafrecht: Mord

Das Tatopfer ist arglos, wenn es bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs nicht mit einem gegen seine körperliche Unversehrtheit gerichteten Angriff rechnet.

Mit dem Mordmerkmal der Heimtücke musste sich der Bundesgerichtshof (1 StR 81/22) in seinem Beschluss vom 5. April 2022 beschäftigen. Im vorliegenden Sachverhalt fand der Angeklagte Chat-Nachrichten mit sexuellem Inhalt, die seine Ehefrau mit einem anderen Mann austauschte. Daraufhin stellte er sie zur Rede und gab dann seinen über Jahre angestauten Aggressionen nach und erstach seine Ehefrau mit einem Küchenmesser. Anschließend würgte er sie, um den Eintritt des Todes zu beschleunigen. Das Landgericht München I verurteilte den Angeklagten wegen Mordes unter Annahme des Mordmerkmals der Heimtücke. Die getroffenen Feststellungen tragen  nach Auffassung des Bundesgerichtshofes jedoch nicht das Mordmerkmal der Heimtücke. Bereits die Annahme einer Arglosigkeit in objektiver Hinsicht begegnet Bedenken, da im Gespräch zwischen den beiden klar wurde, dass sie von einer drohenden schweren tätlichen Auseinandersetzung ausging. Zudem lässt sich die Heimtücke nicht allein darauf stützen, dass der Angeklagte durch einen schnellen Messerstich seine Ehefrau überraschen wollte. Auch lässt sich die Heimtücke nicht dadurch begründen, dass der Angeklagte seine Ehefrau in den Hinterhalt locken wollte, da weder festgestellt ist, dass der Angeklagte das Messer vor Beginn des Gesprächs bereitlegte, um es dann einzusetzen, noch, dass er seine Ehefrau zum Sofa lockte, um sie dort zu erstechen.

Anwalt für Strafrecht: Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge

Besitzen nach dem BtMG (Betäubungsmittelgesetz) setzt ein bewusstes tatsächliches Innehaben, ein tatsächliches Herrschaftsverhältnis sowie Besitzwillen und Besitzbewusstsein voraus.

In seinem Beschluss vom 3. Mai 2022 musste sich der Bundesgerichtshof (1 StR 75/22) mit dem Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge auseinandersetzen. Die Angeklagte im hiesigen Fall wusste, dass ihr Freund größere Mengen Marihuana und Kokain in ihrer Wohnung zum gewinnbringenden Weiterverkauf vorrätig hielt und duldete es. Das Landgericht Stuttgart verurteilte die Angeklagte daraufhin wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge. Der Bundesgerichtshof stellt jedoch fest, dass die Verurteilung wegen unerlaubten Besitzes an den Betäubungsmitteln sachrechtlicher Nachprüfung nicht standhält. Dazu erläutert er, dass Besitzen im Sinne des BtMG ein bewusstes tatsächliches innehaben, ein tatsächliches Herrschaftsverhältnis sowie Besitzwillen und Besitzbewusstsein voraussetzt, die darauf gerichtet sind, die Möglichkeit ungehinderter Einwirkung auf das Betäubungsmittel zu erhalten. Die Angeklagte duldete die Betäubungsmittel in ihrer Wohnung aber lediglich und war insbesondere nicht befugt, über die Betäubungsmittel zu verfügen und hat dies auch nicht getan.