Urteile und Entscheidungen im Strafrecht
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Anwalt für Strafrecht: Diebstahl
In seinem Beschluss vom 19. Mai 2021 musste sich der Bundesgerichtshof (6 StR 28/21) mit der Frage befassen, wann ein Versuchsbeginn beim Wohnungseinbruchdiebstahl vorliegt. Im hiesigen, der Entscheidung des Bundesgerichtshofes zugrundeliegenden Sachverhalt warf der Angeklagte mit einem Stein ein Loch in eine Glasscheibe eines Wintergartens, um über diesen in die anliegenden Wohnräume zu gelangen und diese nach Wertgegenständen zu durchsuchen. Daraufhin schalteten Hausbewohner, die durch den lauten Knall geweckt wurden, das Licht im Treppenhaus an. Hierdurch wurde das ganze Haus erleuchtet. Im Anschluss entfernte sich der Angeklagte, um nicht entdeckt zu werden. Die Handlungen des Täters zur Verwirklichung seines Plans müssen zu dem in Betracht kommenden Straftatbestand in Beziehung gesetzt werden. Es hängt von der Vorstellung des Täters über das „unmittelbare Einmünden“ seines Verhaltens in die Erfolgsverwirklichung ab, ob er zu der in diesem Sinne „entscheidenden“ Rechtsverletzung angesetzt hat oder sich noch im Stadium der Vorbereitung befindet. Es spricht grundsätzlich gegen ein Überschreiten der Schwelle zum Versuch, wenn es zur Herbeiführung des tatbestandlichen Erfolges noch eines neuen Willensimpulses bedarf. Für die Abgrenzung zwischen Vorbereitungs- und Versuchsstadium ist ein wesentliches Kriterium, inwieweit das geschützte Rechtsgut aus Sicht des Täters konkret gefährdet ist. Das ist beim Wohnungseinbruchdiebstahl regelmäßig der Fall, wenn der Täter beim Beginn des Einbrechens, Einsteigens oder Eindringens im Sinne von § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB beabsichtigt, in direktem Anschluss daran in die Wohnung einzudringen und daraus Gegenstände zu entwenden. Er setzt dann bereits dadurch nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar an. Im vorliegenden Fall hatte der Angeklagte beim Einschlagen des Fensters die Vorstellung, sich in unmittelbarem Anschluss daran in das Haus zu begeben, es nach Wertgegenständen zu durchsuchen und diese zu entwenden, ohne dass es insofern eines weiteren Willensimpulses bedurfte. Mithin war das geschützte Rechtsgut aus seiner Sicht schon mit dem Beginn des Einbrechens konkret gefährdet.
Anwalt für Strafrecht: Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit
In einem Strafverfahren gibt es die Möglichkeit, einen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen. Die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit findet gemäß § 24 Abs. 2 der Strafprozessordnung (StPO) statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Dies ist der Fall, wenn der Ablehnende bei verständiger Würdigung des ihm bekannten Sachverhalts Grund zu der Annahme hat, dass der abgelehnte Richter ihm gegenüber eine innere Haltung eingenommen hat, die seine Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann.
Der Bundesgerichtshof musste sich in seiner Entscheidung vom 29. Januar 2021 (AnwSt (B) 4/20) zu den Voraussetzungen eines Ablehnungsgesuchs äußern. In dem vorliegenden Fall war ein Anwalt von einem Anwaltsgericht wegen einer Berufspflichtverletzung zu einer Geldbuße von 5.000 € verurteilt worden. Nachdem die von ihm eingelegte Revision nicht zugelassen, seiner Nichtzulassungsbeschwerde abgeholfen und sein Akteneinsichtsgesuch mehrfach ignoriert worden war, machte der Anwalt eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend und lehnte alle am Beschluss beteiligten Richter wegen der Besorgnis der Befangenheit ab.
Mit seinem Ablehnungsgesuch war der Anwalt erfolgreich: Der Bundesgerichtshof führte aus, dass es bei einer Ablehnung nach § 24 Abs. 1 StPO nicht erforderlich ist, dass eine Befangenheit tatsächlich vorliegt. Es genüge vielmehr, dass die aufgezeigten Umstände geeignet sind, der Partei Anlass zu begründeten Zweifeln zu geben. Die Normen über die Befangenheit von Richtern bezwecken insoweit, bereits den bösen Schein einer möglicherweise fehlenden Unvoreingenommenheit und Objektivität zu vermeiden. Vorliegend könne der Umstand, dass das Akteneinsichtsgesuch des Anwalts durch den Senat übergangen worden ist, jedenfalls dann, wenn zum wiederholten Mal auf das offene Akteneinsichtsgesuch hingewiesen worden ist, einem Beteiligten bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass geben, an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung der beteiligten Richter zu zweifeln.
Anwalt für Strafrecht: Diebstahl
In seinem Beschluss vom 24. Juni 2021 musste sich der Bundesgerichtshof (5 StR 67/21) mit der Frage befassen, ob die Aussage einer Zeugin rechtsfehlerhaft verwendet wurde. Im hiesigen Fall ging es um den Diebstahl eines außergewöhnlich wertvollen Goldmünzenexponats aus dem Berliner Bode-Museum. Das Landgericht verurteilte die beiden Angeklagten sowie einen Mitangeklagten zu mehrjährigen Jugendstrafen. Die Angeklagten legten hiergegen Revisionen ein. Einer der Angeklagten rügte, dass die Aussage einer Zeugin zu seinen Lasten verwertet wurde. Die ehemalige Freundin von einem der Angeklagten meldete sich bei der Polizei für eine Aussage. Im Rahmen einer Vernehmung wegen häuslicher Gewalt machte sie Angaben dazu, dass der Angeklagte sich ihr gegenüber damit gebrüstet haben soll, am Diebstahl der Goldmünze beteiligt gewesen zu sein. Daraufhin wurde eine richterliche Vernehmung der Zeugin beantragt, in der die Zeugin den Angeklagten erheblich belastete. Die Benachrichtigung des Angeklagten und des Verteidigers von der Zeugenvernehmung unterblieb, um eine Beeinflussung der Zeugin durch den Angeklagten und dessen Familie zu verhindern. Nach Auffassung des Bundesgerichtshofes könne dahinstehen, ob sich dieses Vorgehen als rechtsfehlerhaft darstellt. Ein Verstoß gegen die Zuständigkeitsbestimmungen des Ermittlungsrichters gem. § 162 Abs. 3 S. 1 Strafprozessordnung (StPO) zieht kein Beweisverwertungsverbot nach sich, wenn eine polizeiliche Vernehmung der von sich aus aussagebereiten und insoweit gleichermaßen zur Wahrheit verpflichteten Zeugin ohne weiteres möglich war und damit der Vernehmungsinhalt hypothetisch auch auf diese Wiese hätte erlangt werden können. Nebstdem dürfen richterliche Vernehmungen, die wegen eines Verstoßes gegen § 168c StPO rechtsfehlerhaft zustande gekommen sind, als nichtrichterliche Vernehmungen in die Hauptverhandlung eingeführt werden. Hier sind unter Beachtung der §§ 250 ff. StPO die Verlesung der Vernehmungsprotokolle und die Zeugenaussage der Vernehmungspersonen über den Inhalt der Vernehmung möglich. Mithin hat der Bundesgerichtshof die eingelegten Revisionen verworfen.
Anwalt für Strafrecht: Totschlag im Rahmen eines Kaiserschnitts
In dem Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 11. November 2020 (5 StR 256/20) ging es um einen Fall, in dem die zwei Angeklagten – zwei fachlich versierte Geburtsmediziner – im Rahmen eines Kaiserschnitts nach Öffnung der Gebärmutter und Geburt eines gesunden Zwillings den verbliebenen schwer geschädigten Zwilling durch Injektion von 20 ml Kaliumchloridlösung in die Nabelvene töteten. Hintergrund war, dass bei dem getöteten Zwilling schwere Behinderungen (motorische Störungen, Lähmungen, Spastiken und deutliche kognitive Einschränkungen) zu erwarten gewesen wären und der gewünschte Fetozid vorher nicht hatte durchgeführt werden können. Der Bundesgerichtshof bestätigte das Urteil des Landgerichts Berlin, das die beiden Angeklagten jeweils wegen Totschlags verurteilt hatte. In seinem Urteil führte der Bundesgerichtshof aus, dass der getötete Zwilling im Zeitpunkt der tödlichen Einwirkung bereits ein Mensch und nicht mehr eine lediglich von § 218 StGB (Schwangerschaftsabbruch) geschützte Leibesfrucht sei. Die Abgrenzung zwischen den Vorschriften der Tötungsdelikte (§§ 211 ff. StGB) und der des Schwangerschaftsabbruchs (§ 218 StGB) werde seit jeher vom Beginn der Geburt abhängig gemacht. Da bei einem Kaiserschnitt die Eröffnung des Uterus – in vergleichbarer Weise wie beim Beginn einer natürlichen Geburt – ein Abbruch des begonnenen Geburtsvorgangs regelmäßig praktisch nicht mehr in Betracht kommt, liege der Beginn der Geburt beim Kaiserschnitt im ersten Schnitt des Operateurs zur Eröffnung der Bauchdecke. Die Angeklagten haben sich daher durch die Durchführung des Kaiserschnitts zwecks Tötung des im geöffneten Uterus liegenden Zwillings wegen Totschlags strafbar gemacht.
Anwalt für Strafrecht: Handeltreiben mit Betäubungsmitteln
Wer mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unerlaubt Handel treibt, wird gemäß § 29a Abs. 1 Nr. 2 des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) mit einer Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft. Wenn eine Person dazu lediglich Beihilfe im Sinne des § 27 Strafgesetzbuch (StGB) leistet, den Täter bei der Begehung der Straftat also nur als Gehilfe unterstützt, ist die Strafe für den Gehilfen nach § 49 Abs. 1 StGB zu mildern. Das Mindestmaß der Freiheitsstrafe liegt dann nur noch bei drei Monaten. In seinem Beschluss vom 13. April 2021 (4 StR 506/20) musste der Bundesgerichtshof beurteilen, ob das Verhalten eines Drogenkuriers lediglich eine Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben darstellt oder ob er als Mittäter bestraft werden soll. Der Angeklagte hatte als Fahrer eines Pkw wissentlich und willentlich 3.494,4 Gramm Marihuana aus der Tschechischen Republik nach Deutschland verbracht. Das mitgeführte Marihuana diente entsprechend eines gemeinsamen Tatplans des Angeklagten und zweier gesondert verfolgter Personen dem gewinnbringenden Weiterverkauf in Deutschland. Der Bundesgerichtshof führte aus, dass die Annahme eines täterschaftlichen Handelns vorliegend nicht belegt ist und lediglich eine Beihilfe des Angeklagten zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge tragfähig begründet. Für die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme sei darauf abzustellen, welche Bedeutung der konkreten Beteiligungshandlung im Rahmen des auf Umsatz gerichteten Gesamtgeschäfts zukommt. Maßgeblich seien insoweit insbesondere der Grad des eigenen Interesses am Erfolg, der Umfang der Tatbeteiligung und die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille dazu. Hieran gemessen sei eine mittäterschaftliche Begehung nicht beweiswürdigend unterlegt. Weder das vom Landgericht zur Begründung mittäterschaftlichen Handelns herangezogene Interesse des Angeklagten an einer Gewinnerzielung, noch seine Risikobereitschaft aufgrund der Einfuhr der Betäubungsmittel, noch die Investition von Zeit und Fahrtgeld vermögen über die Einfuhr hinaus eine Einbindung des Angeklagten in das Handelsgeschäft zu belegen.
Anwalt für Strafrecht: Sexueller Missbrauch
Wer sexuelle Handlungen an einer Person, die wegen einer körperlichen Krankheit oder Behinderung zur Beratung, Behandlung oder Betreuung anvertraut ist, unter Missbrauch des Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses vornimmt, wird gemäß § 174c Abs. 1 StGB mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. Ob auch bei Vorsorgeuntersuchungen bei einem Frauenarzt ein schützenswertes Vertrauensverhältnis im Sinne des § 174c Abs. 1 StGB besteht, beschäftigte den Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung vom 2. Februar 2021 (4 StR 364/19). Vorliegend hatte ein Frauenarzt in dem Behandlungsraum seiner Praxis in 25 Fällen an verschiedenen Patientinnen Untersuchungen des Genitals vorgenommen, wobei er bei vaginalen Tastuntersuchungen auch einen Finger in die Scheide der Patientinnen einführte. Dabei hatte er ohne Kenntnis und Zustimmung der jeweiligen Patientinnen mittels einer versteckten Kamera digitale Bilder und Videoaufnahmen des entblößten Genitalbereichs zu sexuellen Zwecken angefertigt. Der Bundesgerichtshof führte in seiner Entscheidung aus, dass es sich bei den Patientinnen auch dann um Personen handelt, die dem Angeklagten im Sinne des § 174c Abs. 1 StGB wegen einer körperlichen Krankheit zur Beratung, Behandlung oder Betreuung anvertraut waren, wenn dieser lediglich Vorsorgeuntersuchungen vornahm. Auch eine Vorsorgeuntersuchung, die als solche nicht auf die Behandlung einer Gesundheitsstörung gerichtet ist, sondern nur der Früherkennung von Krankheiten dient, erfülle den Tatbestand des § 174c Abs. 1 StGB. Es sei nicht erforderlich, dass tatsächlich eine behandlungsbedürftige Krankheit vorliegt, sofern nur der Betroffene subjektiv eine Behandlungs- oder Beratungsbedürftigkeit empfindet. „Wegen“ einer körperlichen Krankheit vertraue sich einem Arzt zur Beratung, Behandlung oder Betreuung auch derjenige an, der das Vorliegen einer körperlichen Krankheit nur allgemein besorgt. Die von dem Angeklagten vorgenommenen Berührungen und Penetrationen der Genitale seiner Patientinnen waren vorliegend zudem zwar grundsätzlich medizinisch indiziert und ärztlich regelrecht durchgeführt, allerdings wurde der Behandlungs- und Untersuchungscharakter hier durch Sexualbezug überlagert, weshalb die „Behandlungen“ des Angeklagten als sexuelle Handlungen anzusehen seien. Der Angeklagte hat sich wegen sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung eines Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses strafbar gemacht.
Anwalt für Strafrecht: Versuchter Totschlag
In dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 10. Juni 2021 (4 StR 312/20) musste sich der Bundesgerichtshof damit auseinandersetzen, wann bei einem gefährlichen Fahrmanöver eines Autofahrers ein bedingter Tötungsvorsatz angenommen werden kann. Hintergrund war, dass der Angeklagte mit seinem Auto auf einer Bundesstraße fuhr. Er und ein Motorradfahrer überholten sich mehrfach gegenseitig und bremsten einander aus. Auf der Autobahn wechselte der Angeklagte dann mit mindestens 120 km/h auf die Fahrspur des Motorradfahrers, der sich schräg hinter ihm befand. Dabei kollidierte das Fahrzeug des Angeklagten hinten mit dem Motorradlenker, wodurch der Motorradfahrer mit seinem Motorrad zu Boden ging. Der Motorradfahrer hatte Glück und zog sich bei dem Sturz lediglich zahlreiche Prellungen zu. Gleichwohl verurteilte das Landgericht Cottbus den Angeklagten unter anderem wegen versuchten Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren. Hiergegen wehrte sich der Angeklagte vor dem Bundesgerichtshof und hatte Erfolg: Der Bundesgerichtshof führte in seiner Entscheidung aus, dass vorliegend kein bedingter Tötungsvorsatz des Angeklagten festgestellt werden kann. Bedingter Tötungsvorsatz sei gegeben, wenn der Täter den Tod als mögliche, nicht ganz fernliegende Folge seines Handeln erkennt (Wissenselement) und dies billigt oder sich um des erstrebten Zieles Willen zumindest mit dem Eintritt des Todes eines anderen Menschen abfindet, mag ihm der Erfolgseintritt auch gleichgültig oder an sich unerwünscht sein (Willenselement). Für die Annahme eines solchen bedingten Tötungsvorsatzes sei unerlässlich dazulegen, welchen Verlauf sich der Angeklagte bei seinem Fahrmanöver (Spurwechsel) vorstellte. Unklar sei vorliegend aber, welches Ziel er verfolgte und ob er überhaupt mit einer Kollision gerechnet hat. Alleine aufgrund der Gefährlichkeit des Fahrmanövers könne jedenfalls nicht auf einen Tötungsvorsatz geschlossen werden.
Anwalt für Strafrecht: Pflichtverteidigung
In seinem Beschluss vom 24. März 2021 musste sich der Bundesgerichtshof (StB 9/21) mit der Frage befassen, wann eine Störung des Vertrauensverhältnisses zwischen einem Verteidiger und seinem Mandanten anzunehmen ist. Im hiesigen Fall beantragte die Angeklagte, die Bestellung ihrer Pflichtverteidigerin aufzuheben und ihr als neuen Pflichtverteidiger einen anderen Rechtsanwalt zu bestellen, da sie kein Vertrauen mehr zu ihrer Pflichtverteidigerin habe. Das Vertrauensverhältnis zwischen der Pflichtverteidigerin und der Angeklagten sei nämlich nicht endgültig zerstört und ein sonstiger Grund, die Verteidigerbestellung aufzuheben, bestehe ebenfalls nicht. Eine Störung des Vertrauensverhältnisses ist aus Sicht eines verständigen Angeklagten zu beurteilen und von diesem oder seinem Verteidiger substantiiert darzulegen. Insoweit kann zwar von Bedeutung sein, wenn ein Pflichtverteidiger zu seinem inhaftierten Mandanten über einen längeren Zeitraum überhaupt nicht in Verbindung tritt. Gleichwohl liegt es grundsätzlich im pflichtgemäßen Ermessen des Verteidigers, in welchem Umfang und auf welche Weise er mit dem Beschuldigten Kontakt hält. Die unverzichtbaren Mindeststandards müssen jedenfalls gewahrt sein. Im vorliegenden Fall hat die Verteidigerin die Angeklagte mehrmals in der Untersuchungshaft besucht. Die Angeklagte selbst hat keinen weitergehenden Kontakt zu ihrer Verteidigerin aufgenommen oder einen solchen erbeten. Nach Auffassung des Bundesgerichtshofes hat das Oberlandesgericht den Antrag der Angeklagten auf Aufhebung der Bestellung ihrer Pflichtverteidigerin mithin zurecht abgelehnt.
Anwalt für Strafrecht: Beleidigung
Wer eine andere Person beleidigt, also die Ehre der Person durch Kundgabe der eigenen Missachtung angreift, wird gemäß § 185 Strafgesetzbuch (StGB) mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft. In dem Beschluss des Kammergerichts (KG) vom 14. Juli 2020 (4 Ss 43/20) hatte der Angeklagte – ein Polizeimeisteranwärter – in einem Treppenhaus der Polizeiakademie gegenüber seinem Kollegen und Freund bezüglich einer weiblichen Kollegin den folgenden Kommentar abgegeben, den ein Zeuge mitbekam: „Der würd‘ ich geben, der Kahba“. Hiermit hat der Angeklagte in jugendlicher Vulgärsprache zum Ausdruck gebracht, dass er gerne mit „der Kahba“ geschlechtlich verkehren würde, wobei das arabische Wort „Kahba“ auf Deutsch „Schlampe“ oder „Prostituierte“ bedeutet. Das Kammergericht musste sich nun damit auseinandersetzen, ob sich der Angeklagte hinsichtlich der ehrenrührigen Äußerung in einer sog. „beleidigungsfreien Sphäre“ befand, da er den Kommentar gegenüber seinem Freund und Kollegen abgegeben hatte. Hierzu führte das Kammergericht aus, dass es zwar einen Bereich vertraulicher Kommunikation innerhalb besonders ausgestalteter Vertrauensbeziehungen gibt, in der der Äußernde ohne Rücksicht auf gesellschaftliche Konventionen und ohne Sorge vor staatlicher Sanktionierung kommunizieren darf (= „beleidigungsfreie Sphäre“). Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass die Vertraulichkeit nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls tatsächlich gewährleistet erscheint, die Kommunikation mithin gegen die Wahrnehmung durch Dritte abgeschirmt ist. Dies war vorliegend jedoch nicht der Fall. Der Angeklagte befand sich in einem Treppenhaus der Polizeiakademie und wusste, dass sich dort noch weitere Personen aufhielten bzw. sich jederzeit in das Treppenhaus begeben konnten. Besondere Maßnahmen, wie z.B. Flüstern, hat er indes nicht ergriffen. Das Kammergericht stellte daher fest, dass der Angeklagte sich zum Zeitpunkt der ehrenrührigen Äußerung nicht in einer beleidigungsfreien Sphäre befand.
Anwalt für Strafrecht: Beleidigung
In dem Beschluss vom 17. März 2021 (2 BvR 194/20) musste sich das Bundesverfassungsgericht mit der grundrechtlich verankerten sog. „beleidigungsfreien Sphäre“ auseinandersetzen. Vorliegend war der Beschwerdeführer in einer Justizvollzugsanstalt inhaftiert gewesen, von wo aus er einen Brief an seine ehemalige Verlobte und Mittäterin schrieb. Der Brief enthielt Äußerungen über seine Vorgesetzten („[…] ich kenne das echte „Arschloch“ noch nicht, über das echt jeder lästert, weil es echt ein Prolet sein soll!“) und über den „[…] scheiß Nazi- und Bullenstaat Bayern“. Der Brief wurde deshalb angehalten, wogegen sich der Beschwerdeführer wendete. Das Bundesverfassungsgericht führte aus, dass es zu den Bedingungen der Persönlichkeitsentfaltung im Rahmen des Art. 2 Abs. 1 GG gehört, dass der Einzelne einen Raum besitzt, in dem er unbeobachtet sich selbst überlassen ist oder mit Personen seines besonderen Vertrauens ohne Rücksicht auf gesellschaftliche Verhaltenserwartungen und ohne Furcht vor staatlichen Sanktionen verkehren kann. Im Strafrecht werde dem Rechnung getragen, indem bei ehrverletzenden Äußerungen über nicht anwesende Dritte in besonders engen Lebenskreisen eine beleidigungsfreie Sphäre zugestanden wird, wenn die Äußerung Ausdruck des besonderen Vertrauens ist und wenn keine begründete Möglichkeit ihrer Weitergabe besteht. Dieser Schutz der Vertrauenssphäre gehe auch dann nicht verloren, wenn sich der Staat Kenntnis von vertraulich gemachten Äußerungen verschafft. Dies gelte auch für die Briefkontrolle bei Strafgefangenen. Der Grundrechtsschutz wirke sich dabei gerade darin aus, dass der vertrauliche Charakter der Mitteilung trotz der staatlichen Überwachung gewahrt bleibt. Diese Grundsätze hätten bei der Entscheidung, den Brief anzuhalten, berücksichtigt werden müssen.