Urteile und Entscheidungen im Strafrecht

Auf dieser Seite finden Sie den vollständigen Text der Entscheidungen, die für die Strafrechtskanzlei Dietrich relevant sind.

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Anwalt für Strafrecht: Strafprozessrecht

Hinreichender Tatverdacht liegt vor, wenn eine Verurteilung des Beschuldigten wahrscheinlicher ist als sein Freispruch. 

Wann kann eine Hauptverhandlung eröffnet werden? Diese Frage beantwortete der Bundesgerichtshof (StB 29/24) in seinem Beschluss vom 10. Juli 2024. Dem Angeklagten wird von der Generalstaatsanwaltschaft vorgeworfen, sich mitgliedschaftlich an der ausländischen terroristischen Vereinigung „Arbeiterpartei Kurdistans“ beteiligt zu haben. Das OLG hat die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt. Der BGH erwidert, dass für die Eröffnung des Hauptverfahrens keine richterliche Überzeugung vonnöten ist, wie es für die Verurteilung der Fall ist. Vielmehr reicht ein hinreichender Tatverdacht aus. Dieser ist zu bejahen, wenn bei vorläufiger Tatbewertung auf Grundlage des Ermittlungsergebnisses die Verurteilung in einer Hauptverhandlung mit vollgültigen Beweismitteln wahrscheinlich ist.

Anwalt für Strafrecht: Verfassungsbeschwerde

Ein Richter wird nicht wegen Beteiligung an der Sache von der Ausübung seines Richteramtes ausgeschlossen (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 BVerfGG), wenn der Ausschlussgrund auf ein offensichtlich rechtsmissbräuchliches Verhalten des Beschwerdeführers zurückgeht.

Wie mit der Strafanzeige gegen zwei Verfassungsrichter umzugehen ist, hat das Bundesverfassungsgericht (2 BvR 475/24) in seinem Beschluss vom 22. Mai 2024 entschieden. Der Beschwerdeführer erstattet Anzeige gegen zwei Verfassungsrichter, da diese an einem Verfahren mitgewirkt haben, bei dem eine frühere Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers abgelehnt wurde. Nachdem kein Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde, verfasste der Beschwerdeführer eine erneute Verfassungsbeschwerde. Bei jenem Verfahren wirkten die Verfassungsrichter, die der Beschwerdeführer angezeigt hatte, mit. Die beiden Richter sind in diesem Verfahren nicht kraft Gesetzes von der Ausübung ihres Richteramts ausgeschlossen, entscheidet das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss. Zwar ist ein Richter nach § 18 Abs. 1 Nr. 1 BVerfGG grundsätzlich wegen Beteiligung an der Sache von der Ausübung seines Richteramts ausgeschlossen, wenn er von einer Entscheidung in dem Verfahren unmittelbar rechtlich betroffen ist. Das gilt jedoch nicht, wenn der Ausschlussgrund auf ein offensichtlich rechtsmissbräuchliches Verhalten des Beschwerdeführers zurückgeht. Das schlussfolgert das Gericht aus einer teleologischen Reduktion des § 18 Abs. 1 Nr. 1 BVerfGG. 

Anwalt für Strafrecht: Strafprozessrecht

Nach § 138a Abs. 1 Nr. 1 StPO ist ein Verteidiger von der Mitwirkung in einem Verfahren auszuschließen, wenn er dringend oder in einem die Eröffnung des Hauptverfahrens rechtfertigenden Grade verdächtig ist, dass er an der Tat, die den Gegenstand der Untersuchung bildet, beteiligt ist.

Wie zu verfahren ist, wenn der Strafverteidiger selber möglicherweise in die vorgeworfene Straftat involviert ist, musste der Bundesgerichtshof (2 ARs 85/24, 2 AR 231/23) in seinem Beschluss vom 6. Juni 2024 entscheiden. Gegen die Angeklagte wird vor dem Landgericht Dresden ein Strafverfahren unter anderem wegen des Vorwurfs des Ausstellers unrichtiger Gesundheitszeugnisse nach § 278 Abs. 1 StGB in mehreren Fällen geführt. In einigen der Fälle soll die Angeklagte auch ihrem Strafverteidiger negative Antigen-Schnelltests ärztlich bescheinigt haben, obwohl die Tests nie durchgeführt wurden. Der Rechtsanwalt wurde auf Antrag der Staatsanwaltschaft vom OLG Dresden als Verteidiger ausgeschlossen, da dieser der Beteiligung an Straftaten der Angeklagten hinreichend verdächtig ist (§ 138a Abs. 1 Nr. 1 StPO). Auch der Bundesgerichtshof bestätigt dies in seinem Beschluss. Nach § 138a Abs. 1 Nr. 1 StPO ist ein Verteidiger von der Mitwirkung in einem Verfahren auszuschließen, wenn er dringend oder in einem die Eröffnung des Hauptverfahrens rechtfertigenden Grade verdächtig ist, dass er an der Tat, die den Gegenstand der Untersuchung bildet, beteiligt ist. Ausreichend ist dafür auch ein hinreichender Tatverdacht.

Anwalt für Strafrecht: Jugendstrafrecht

Unter schädlichen Neigungen sind erhebliche Anlage- oder Erziehungsmängel zu verstehen, die ohne längere Gesamterziehung des Täters die Gefahr weiterer Straftaten begründen.

Wann liegen schädliche Neigungen im Jugendstrafrecht vor? Zu dieser Frage äußerte sich der Bundesgerichtshof (1 StR 30/24) in seinem Beschluss vom 20. Februar 2024. Die Angeklagte wurde zuvor vom Landgericht München wegen Betrugs in acht Fällen zu einer Einheitsjugendstrafe von einem Jahr verurteilt, wobei deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Daneben wurde die Einziehung des Wertes der Taterträge in Höhe von 69.000,00 € angeordnet. Das Landgericht ging bei der Verurteilung der Angeklagten von schädlichen Neigungen nach § 17 Abs. 2 JGG aus, die eine Jugendstrafe im Jugendstrafrecht ermöglichen. Der Bundesgerichtshof entgegnet dem jedoch, dass die Annahme der schädlichen Neigungen hier durchgreifenden Bedenken begegnet. Zuerst zur Definition schädlicher Neigungen: Unter schädlichen Neigungen sind erhebliche Anlage- oder Erziehungsmängel zu verstehen, die ohne längere Gesamterziehung des Täters die Gefahr weiterer Straftaten begründen. Im hiesigen Fall hat sich das Landgericht jedoch nicht mit der Persönlichkeitsentwicklung der Angeklagten vor der Tatserie beschäftigt. Die schädlichen Neigungen wurden stattdessen allein mit der Begehung der Betrugstaten begründet. Auch wurde dabei nicht erörtert, dass die letzte Tat zum Schluss der Verhandlung ca. 2 Jahre zurücklag und die Angeklagte nicht erneut straffällig wurde.

Anwalt für Strafrecht: Pflichtverteidigung

Die Bestellung eines zusätzlichen Pflichtverteidigers ist nur in eng begrenzten Ausnahmefällen in Betracht zu ziehen.

Ab wann die Beiordnung eines zusätzlichen Pflichtverteidigers zulässig ist, hat der Bundesgerichtshof (StB 17/24) in seinem Beschluss vom 19. März 2024 ausgeführt. Dem Beschwerdeführer wird zur Last gelegt, dass er als Sympathisant der terroristischen Vereinigung „IS“ Gelder für diese gesammelt habe. Für das Verfahren, das sich über 20 Hauptverhandlungstage erstrecken soll, wurde ihm ein Pflichtverteidiger beigeordnet. Dabei beantragte ein weiterer Rechtsanwalt seine Beiordnung als zusätzlichen zweiten Pflichtverteidiger gemäß § 144 Abs. 1 StPO, da der beigeordnete Pflichtverteidiger ein Kind erwartet und deshalb möglicherweise für längere Zeit nicht zur Verfügung stehe. Außerdem sei ein zweiter Pflichtverteidiger wegen des Umfangs des Verfahrensstoffes notwendig. Dieser Antrag wurde abgelehnt. Auch der Bundesgerichtshof stimmt dem zu. Demnach ist die Bestellung eines zusätzlichen Pflichtverteidigers nur in eng begrenzten Ausnahmefällen in Betracht zu ziehen. Etwa wegen des besonderen Umfangs oder der besonderen Schwierigkeit der Sache. Damit sollen die sachgerechte Wahrnehmung der Rechte des Angeklagten gewahrt werden sowie ein dem Beschleunigungsgrundsatz entsprechender Verfahrensablauf gewährleistet werden. Die Voraussetzungen liegen vorliegend jedoch nicht vor.

Anwalt für Strafrecht: Strafprozessrecht

Versäumt der Verurteilte die Frist gemäß § 356a StPO, ist ihm das Verschulden seines Verteidigers zuzurechnen.

Was passiert, wenn der Verteidiger eine Frist wegen eines Urlaubs versäumt; mit dieser Thematik beschäftigte sich der Bundesgerichtshof (1 StR 450/23) in seinem Beschluss vom 4. April 2024. Laut des Verteidigers habe er den Beschluss zur verworfenen Revision erst nach Rückkehr von einer Urlaubsreise zur Kenntnis genommen. Daher soll er die anschließende Anhörungsrüge fristgerecht erhoben haben. Der Bundesgerichtshof stellt aber fest, dass er die Anhörungsrüge nicht fristgerecht erhoben hat, da er den Senatsbeschluss bereits 2 Wochen zuvor erhalten habe.  Bei längerer urlaubsbedingter Abwesenheit hätte er die Bestellung eines Vertreters veranlassen müssen. Ein etwaiges Verschulden des Verteidigers ist dem Verurteilten zuzurechnen. 

Anwalt für Strafrecht: Pflichtverteidigung

Ein Verwertungsverbot wegen Nichtbestellung eines Pflichtverteidigers bei der Vernehmung ist nur bei schwerwiegenden, bewussten oder objektiv willkürlichen Rechtsverstößen anzunehmen.

Wie damit umzugehen ist, wenn dem Angeklagten bei der polizeilichen Vernehmung kein Pflichtverteidiger bestellt wurde, hat der Bundesgerichtshof (2 StR 49/23) in seinem Beschluss vom 7. Dezember 2023 entschieden. Das Landgericht Limburg a. d. Lahn verurteilte den Angeklagten zuvor wegen erpresserischen Menschenraubs in Tateinheit mit schwerer räuberischer Erpressung und wegen Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung. Dem Angeklagten war jedoch bei seiner polizeilichen Vernehmung entgegen §§ 141a S. 1, 141 Abs. 2, 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO kein Pflichtverteidiger bestellt worden. Ein Verwertungsverbot ergibt sich nach Auffassung des Bundesgerichtshofes jedoch daraus nicht. Demnach sei ein Verwertungsverbot nur bei schwerwiegenden, bewussten oder objektiv willkürlichen Rechtsverstößen anzunehmen. Vorliegend sind die Beamten aber wegen einer Neuregelung noch davon ausgegangen, dass eine Vernehmung auch ohne Verteidiger möglich ist, wenn der Beschuldigte damit einverstanden ist. Außerdem ist zu beachten, dass das staatliche Verfolgungs- und Aufklärungsinteresse bei wie hiesigen schwerwiegenden Delikten hoch ist.

Anwalt für Strafrecht: Strafverfahrensrecht

Dem Angeklagten muss eine Übersetzung der Anklageschrift übersendet werden, wenn er der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtig ist.

Wie damit umzugehen ist, wenn der Angeklagte der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtig ist, hat der Bundesgerichtshof (1 StR 366/23) in seinem Beschluss vom 5. März 2024 erklärt. Der Angeklagte wurde zuvor vom Landgericht Karlsruhe wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung verurteilt. Ihm ist jedoch keine Übersetzung der Anklageschrift zugekommen, obwohl er die deutsche Sprache nur rudimentär beherrscht. Damit wurde der Angeklagte nach dem Beschluss des Bundesgerichtshofes in seinem Recht aus Art. 6 Abs. 3 lit. a) EMRK verletzt, nach welchem jede angeklagte Person innerhalb einer möglichst kurzen Frist in einer ihr verständlichen Sprache in allen Einzelheiten über Art und Grund der gegen sie erhobenen Beschuldigung unterrichtet werden muss. Das ist darauf zurückzuführen, dass ein Angeklagter auf die Entscheidung nur dann hinreichend Einfluss nehmen kann, wenn ihm der Verfahrensgegenstand in vollem Umfang bekannt ist. 

Anwalt für Strafrecht: Pflichtverteidiger

Ein konsensualer Wechsel des Pflichtverteidigers benötigt ein Einverständnis von beiden Seiten.

Wann ein Wechsel des Pflichtverteidigers möglich ist, beantwortete der Bundesgerichtshof (StB 49/23) in seinem Beschluss vom 10. August 2023. Dem Angeschuldigten wird unter anderem vorgeworfen, sich an einer kriminellen Vereinigung beteiligt zu haben. Der Antrag des Angeschuldigten, seinen Pflichtverteidiger zu wechseln, wurde abgelehnt. Dagegen legte er Beschwerde ein und führte dafür aus, dass es hier keiner Zustimmung des Verteidigers benötige und außerdem das Vertrauensverhältnis zerstört sei, da der Rechtsanwalt den Angeschuldigten seit über einem Dreiviertel Jahr nicht in der Untersuchungshaft besucht habe und ohne einen ersichtlichen Grund den Verteidigerwechsel verweigert. Daneben soll er ohne Rücksprache mit dem Angeschuldigten eigene Ermittlungen durchgeführt haben. Das solle dazu führen, dass auch ein Verteidigerwechsel wegen endgültiger Zerstörung des Vertrauensverhältnisses nach § 143a Abs. 2 Nr. 3 StPO möglich ist. Der Bundesgerichtshof führt zunächst aus, dass für einen konsensualen Verteidigerwechsel auch in diesem Fall die Zustimmung des Rechtsanwalts benötigt wird. Voraussetzung für diese Art des Verteidigerwechsels sind das Einverständnis des bisherigen Verteidigers sowie des neuen Rechtsanwalts. Außerdem darf es zu keiner Verfahrensverzögerung und keiner Mehrbelastung für die Staatskasse kommen. Zuletzt liegt nach Ansicht des Bundesgerichtshofes auch keine endgültige Zerstörung des Vertrauensverhältnisses vor, die einen Verteidigerwechsel begründen würde.

Anwalt für Strafrecht: Strafprozessrecht

Schweigen darf einem Angeklagten im Strafprozess nicht zur Last gelegt werden.

Mit der Thematik des Schweigens im Strafprozess hat sich der Bundesgerichtshof (5 StR 52/23) in seinem Urteil vom 27. April 2023 befasst. Die Geschädigte sprach den Angeklagten auf die 2,00 € an, die er ihr schulde. Daraufhin sprühte er ihr mit Pfefferspray ins Gesicht und schlug ihr mit der Metallschnalle eines Gürtels auf Kopf und Oberkörper. Nach über drei Monaten in Untersuchungshaft gab der Angeklagte an, dass er der Geschädigten kein Geld schulde, sie ihm vielmehr seinen Rucksack weggenommen habe. Das Landgericht Berlin sieht seine Aussagen jedoch als unglaubhaft an, da er diese, wenn sie der Wahrheit entsprechen würden, bereits zu einem früheren Zeitpunkt getätigt hätte. Daher verurteilte es den Angeklagten wegen versuchter besonders schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung. Der Bundesgerichtshof entgegnet dem jedoch, dass die Erwägung gegen den Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit verstößt. Der Zeitpunkt, zu dem der Angeklagte erstmals eine entlastende Einlassung vorbringt, kann dem Angeklagten demnach nicht zur  Last gelegt werden.