Urteile und Entscheidungen im Strafrecht

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Anwalt für Strafrecht: Pflichtverteidiger

Ein konsensualer Wechsel des Pflichtverteidigers benötigt ein Einverständnis von beiden Seiten.

Wann ein Wechsel des Pflichtverteidigers möglich ist, beantwortete der Bundesgerichtshof (StB 49/23) in seinem Beschluss vom 10. August 2023. Dem Angeschuldigten wird unter anderem vorgeworfen, sich an einer kriminellen Vereinigung beteiligt zu haben. Der Antrag des Angeschuldigten, seinen Pflichtverteidiger zu wechseln, wurde abgelehnt. Dagegen legte er Beschwerde ein und führte dafür aus, dass es hier keiner Zustimmung des Verteidigers benötige und außerdem das Vertrauensverhältnis zerstört sei, da der Rechtsanwalt den Angeschuldigten seit über einem Dreiviertel Jahr nicht in der Untersuchungshaft besucht habe und ohne einen ersichtlichen Grund den Verteidigerwechsel verweigert. Daneben soll er ohne Rücksprache mit dem Angeschuldigten eigene Ermittlungen durchgeführt haben. Das solle dazu führen, dass auch ein Verteidigerwechsel wegen endgültiger Zerstörung des Vertrauensverhältnisses nach § 143a Abs. 2 Nr. 3 StPO möglich ist. Der Bundesgerichtshof führt zunächst aus, dass für einen konsensualen Verteidigerwechsel auch in diesem Fall die Zustimmung des Rechtsanwalts benötigt wird. Voraussetzung für diese Art des Verteidigerwechsels sind das Einverständnis des bisherigen Verteidigers sowie des neuen Rechtsanwalts. Außerdem darf es zu keiner Verfahrensverzögerung und keiner Mehrbelastung für die Staatskasse kommen. Zuletzt liegt nach Ansicht des Bundesgerichtshofes auch keine endgültige Zerstörung des Vertrauensverhältnisses vor, die einen Verteidigerwechsel begründen würde.

Anwalt für Strafrecht: Strafprozessrecht

Schweigen darf einem Angeklagten im Strafprozess nicht zur Last gelegt werden.

Mit der Thematik des Schweigens im Strafprozess hat sich der Bundesgerichtshof (5 StR 52/23) in seinem Urteil vom 27. April 2023 befasst. Die Geschädigte sprach den Angeklagten auf die 2,00 € an, die er ihr schulde. Daraufhin sprühte er ihr mit Pfefferspray ins Gesicht und schlug ihr mit der Metallschnalle eines Gürtels auf Kopf und Oberkörper. Nach über drei Monaten in Untersuchungshaft gab der Angeklagte an, dass er der Geschädigten kein Geld schulde, sie ihm vielmehr seinen Rucksack weggenommen habe. Das Landgericht Berlin sieht seine Aussagen jedoch als unglaubhaft an, da er diese, wenn sie der Wahrheit entsprechen würden, bereits zu einem früheren Zeitpunkt getätigt hätte. Daher verurteilte es den Angeklagten wegen versuchter besonders schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung. Der Bundesgerichtshof entgegnet dem jedoch, dass die Erwägung gegen den Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit verstößt. Der Zeitpunkt, zu dem der Angeklagte erstmals eine entlastende Einlassung vorbringt, kann dem Angeklagten demnach nicht zur  Last gelegt werden.

Anwalt für Strafrecht: Jugendstrafrecht

Bei der Schwere der Schuld ist im Jugendstrafrecht in erster Linie auf die innere Tatseite einzugehen.

Der Bundesgerichtshof (3 StR 481/22) hat sich in seinem Beschluss vom 7. Februar 2023 mit der Schwere der Schuld im Jugendstrafrecht sowie der Bemessung der Jugendstrafe befasst. Der Angeklagte wurde vom Landgericht Krefeld wegen räuberischen Diebstahls in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von über einem Jahr verurteilt. Der Bundesgerichtshof erklärt in seinem Beschluss, dass die Jugendkammer die Beurteilung der Jugendstrafe allein auf den äußeren Unrechtsgehalt der Tat abgestellt hat. Die innere Tatseite, der bei der Frage der Schwere der Schuld im Jugendstrafrecht besondere Bedeutung zukommt, wurde dabei außer Acht gelassen. Auch die Bemessung der Jugendstrafe genügt nicht den erforderlichen Anforderungen. Bei dieser habe sich das Landgericht zu sehr an den Strafzumessungsgesichtspunkten des Erwachsenenstrafrechts orientiert.

Anwalt für Strafrecht: Jugendstrafrecht

Journalisten können an der Verhandlung einer Jugendstrafsache teilnehmen, solange der Artikel die Jugendstrafrechtspflege allgemein oder bestimmte Fragen des Jugendstrafverfahrens behandeln soll.

In seinem Beschluss vom 16. August 2023 behandelte der Bundesgerichtshof (5 StR 205/23) die Zulässigkeit der Teilnahme eines Redaktionsmitglieds an der Verhandlung eines Jugendlichen. Der Bundesgerichtshof beruft sich in seinem Beschluss auf § 48 Abs. 2 S. 3 JGG, wonach Personen zu Ausbildungszwecken an Verhandlungen in Jugendstrafsachen teilnehmen können. Zulässig ist eine Teilnahme dann, wenn allgemein über die Jugendstrafrechtspflege oder über bestimmte Fragen des Jugendstrafverfahrens berichtet werden soll. Das war im vorliegenden Fall die Absicht der hiesigen Zeitschrift.

Anwalt für Strafrecht: Pflichtverteidigung

Bei der notwendigen Verteidigung ist das in Art. 6 Abs. 3 Buchst. c EMRK gewährleistete Recht auf Selbstverteidigung nicht berührt.

In seinem Beschluss vom 15. November 2022 hat sich der Bundesgerichtshof (StB 51/22) mit der Pflichtverteidigung beschäftigt. Der Ermittlungsrichter des BGH hatte der Beschuldigten, die mutmaßlich der „Reichsbürgerszene“ angehört, einen Pflichtverteidiger bestellt. Dagegen wendete sich diese mit ihrer sofortigen Beschwerde, in der sie vorgebracht hatte, keinen Rechtsanwalt zu benötigen und sich selbst verteidigen zu wollen. Der Bundesgerichtshof stellt jedoch in seinem Beschluss fest, dass die sofortige Beschwerde unzulässig ist. Das Recht auf Selbstverteidigung, das der Art. 6 Abs. 3 Buchst. c EMRK gewährleistet, bleibt in Fällen der notwendigen Verteidigung unberührt. Eine Beschwerde diesbezüglich kommt demnach nur in Betracht, wenn der bestellte Verteidiger wegen mangelnder Eignung oder wegen Interessengegensatzes unfähig erscheint, die Verteidigung ordnungsgemäß zu führen oder der Beschuldigte in seinem Recht auf Bezeichnung des zu bestellenden Verteidigers und dessen Beiordnung aus § 142 Abs. 5 S. 1 und 3 StPO betroffen ist.

Anwalt für Strafrecht: Die Jugendstrafe

Auch auf Nachtatverhalten kann für das Fortbestehen einer schädlichen Neigung verwiesen werden, jedoch muss dieses prozessordnungsgemäß in der Hauptverhandlung eingeführt und festgestellt werden.

Die Jugendstrafe nach § 17 JGG stand im Mittelpunkt des Beschlusses des Bundesgerichtshofes (2 StR 435/21) vom 1. Juni 2022. Der Angeklagte wurde vom Landgericht Bonn wegen versuchten schweren Raubes und weiteren Straftaten zu einer Jugendstrafe von 4 Jahren verurteilt. Die Erwägungen des Landgerichts zum Vorliegen schädlicher Neigungen und zur Höhe der verhängten Jugendstrafe halten revisionsrechtlicher Prüfung nicht stand. Für die Begründung einer schädlichen Neigung nach § 17 Abs. 2 JGG wurde demnach unter anderem angeführt, dass dem Angeklagten während der Hauptverhandlung verbotene Gegenstände zugesteckt wurden, die dieser in die JVA schmuggeln wollte. Dazu führt der Bundesgerichtshof aus, dass für das Fortbestehen der schädlichen Neigung zwar auf Nachtatverhalten verwiesen werde kann, jedoch muss dieses auch prozessordnungsgemäß festgestellt oder in einem anderen Verfahren bereits rechtskräftig abgeurteilt worden sein. Da das vorliegend nicht der Fall war, führt der aufgezeigte Rechtsfehler zur Aufhebung des Ausspruchs über die Höhe der Jugendstrafe.

Anwalt für Strafrecht: Pflichtverteidigung

Um den Pflichtverteidiger aufgrund einer endgültigen Zerstörung des Vertrauensverhältnisses zu wechseln, reicht es nicht aus, den bisherigen Verteidiger lediglich anzuzeigen.

In seinem Beschluss vom 5. Dezember 2022 musste sich der Bundesgerichtshof (5 StR 429/22) mit dem Verteidigerwechsel gem. § 143a StPO auseinandersetzen. Im vorliegenden Fall trug der Angeklagte vor, dass ein Verteidigerwechsel entscheidende Bedeutung für seine Ehre und Familie hätte und gegen seinen bisherigen Pflichtverteidiger bereits Strafanzeige gestellt habe. Der Bundesgerichtshof stellt jedoch fest, dass der Antrag unbegründet ist, da die Voraussetzungen für einen Pflichtverteidigerwechsel gem. § 143a Abs. 2 und 3 nicht vorliegen. Eine Störung des Vertrauensverhältnisses ist demnach aus Sicht eines verständigen Angeklagten zu beurteilen und von diesem oder seinem Verteidiger substantiiert darzulegen. Die Erstattung einer Strafanzeige ohne anschließende Begründung reicht nicht aus.

Anwalt für Strafrecht: Gefährliche Körperverletzung

Bei der Bemessung der Jugendstrafe muss nach § 18 Abs. 2 JGG berücksichtigt werden, dass die erforderliche erzieherische Einwirkung möglich ist.

In seinem Beschluss vom 21. Juli 2022 hat der Bundesgerichtshof (4 StR 177/22) erörtert, ob die Jugendstrafe im vorliegenden Fall richtig bemessen wurde. Der 19-jährige Angeklagte stach im hiesigen Fall einem anderen mit einem Messer in die Schulter und in den Rücken, der sich dabei lebensbedrohliche Rückenverletzungen zuzog. Das Landgericht Hagen verurteilte den Angeklagten dafür wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von vier Jahren. Der Bundesgerichtshof bestätigt, dass die Bemessung der Jugendstrafe den Erfordernissen von § 18 Abs. 2 in Verbindung mit § 105 Abs. 1 JGG genügt. Als Begründung führt er auf, dass die Bemessung der Jugendstrafe erfordert, das Gewicht des Tatunrechts gegen die Folgen der Strafe für die weitere Entwicklung des Heranwachsenden abzuwägen, und dies vorliegend geschehen ist. Das Landgericht hat mehrfach auf die erforderliche erzieherische Wirkung abgestellt und die Umstände, die den Erziehungsbedarf des Angeklagten bestimmen, mit den Umständen abgewogen, die das Tatunrecht kennzeichnen.

Anwalt für Strafrecht: Auswechslung des Pflichtverteidigers

Eine Auswechslung des beigeordneten Pflichtverteidigers kommt nach § 143a Abs. 2 S. 1 Nr. 3 Alt. 2 StPO in Betracht, wenn dieser auf Grund äußerlich veranlasster, von seinem Willen unabhängigen Umständen außerstande ist, eine angemessene Verteidigung des Angeklagten zu gewährleisten.

In seinem Beschluss vom 25. August 2022 hat sich der Bundesgerichtshof (StB 35/22) mit der Frage auseinandergesetzt, wann eine Auswechslung des beigeordneten Pflichtverteidigers in Betracht kommt.  Im hiesigen Fall konnte der Beigeordnete nur an 7 der 15 Hauptverhandlungstermine, sodass der Vorsitzende des mit der Sache befassten Strafsenats ihn entpflichtete und einen anderen Pflichtverteidiger bestellte. Die daraufhin erhobene Beschwerde des Angeklagten ist unbegründet. Nach § 143a Abs. 2 S. 1 Nr. 3 Alt. 2 StPO ist die Bestellung des Pflichtverteidigers unter anderem dann aufzuheben, wenn aus einem sonstigen Grund keine angemessene Verteidigung gewährleistet ist. Auf den Willen des Angeklagten kommt es dabei nicht an.

Anwalt für Strafrecht: Strafrahmenverschiebung

Das Tatgericht entscheidet über die fakultative Strafrahmenverschiebung nach
§§ 21, 49 Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB) nach seinem pflichtgemäßen Ermessen aufgrund einer Gesamtabwägung aller schuldrelevanten Umstände. Insoweit steht dem Tatgericht ein weiter Ermessensspielraum zu. Um dem Prinzip zu genügen, dass die Strafe das Maß der Schuld nicht überschreiten darf, erfordert die Versagung einer Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB schulderhöhende Umstände, die diese Schuldmilderung kompensieren.

In seinem Beschluss vom 10. Juni 2021 musste der Bundesgerichtshof (4 StR 30/21) die Versagung einer Strafrahmenverschiebung beurteilen. In der hiesigen Entscheidung konsumierte der Angeklagte in der Annahme, später von einem Bekannten abgeholt zu werden, erhebliche Mengen Alkohol sowie Amphetamin auf einem Fest. Als der Angeklagte indessen nicht abgeholt wurde, fuhr er selbst mit seinem Fahrzeug. Infolge überhöhter Geschwindigkeit und seiner drogen- und alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit verursachte der Angeklagte einen Unfall, bei dem ein anderer Fahrer tödlich verletzt wurde. Der Angeklagte fuhr weiter, obwohl er davon ausging, dass der Fahrer schwer verletzt war und ohne sofortige Hilfe versterben könnte, was er billigend in Kauf nahm. Das Landgericht hat angenommen, dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei Begehung der Taten infolge seines Alkohol- und Drogenkonsums nicht ausschließbar erheblich vermindert war. Eine Verschiebung des Strafrahmens lehnte es jedoch im ersten Fall ab, da bei einer Gesamtwürdigung die Schuldminderung durch schulderhöhende Umstände kompensiert werden würde (u.a. der Gesichtspunkt, dass der Angeklagte mit seiner Trunkenheitsfahrt bis zum Unfall gleich mehrere Delikte verletzt habe und sich seiner Alkoholisierung „bewusst“ gewesen wäre). Die Entscheidung des Landgerichts halte nach Auffassung des Bundesgerichtshofes einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. So wurde zwar zutreffend die selbstverantwortete Trunkenheit als schulderhöhend gewertet. Indes wurde insoweit nicht bedacht, dass der Angeklagte nach den Feststellungen im Zeitpunkt des Sich-Betrinkens nicht in Fahrbereitschaft war, sondern davon ausging, abgeholt zu werden. Diesen Umstand hätte das Landgericht im Rahmen der erforderlichen Gesamtwürdigung mit Blick auf den dem Angeklagten zur Last gelegten Vorwurf einer Trunkenheitsfahrt und der hierdurch verursachten fahrlässigen Tötung nicht unberücksichtigt lassen dürfen. Mithin sei nicht auszuschließen, dass das Landgericht von einem zu hohen Schuldgehalt ausgegangen ist.