Urteile und Entscheidungen im Strafrecht
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Anwalt für Strafrecht: Notwehrexzess bei Wahnvorstellungen
In seinem Beschluss vom 16. September 2014 – 2 StR 113/14 befasste sich der Bundesgerichtshof mit den Voraussetzungen, welche an die Begründung eines Notwehrexzesses zu stellen sind. Der Beschuldigte kann trotz Überschreiten der Erforderlichkeit einer Notwehhandlung straffrei bleiben. Hierfür muss ein Notwehrexzess vorliegen. Die Notwehrhandlung des Beschuldigten ist zur Abwehr eines Angriffs erforderlich, wenn sie zur Abwehr des Angriffs geeignet war und das mildeste Mittel zur Abwehr des Angriffs darstellt. Ein Notwehrexzess liegt vor, wenn der Beschuldigte aus Furcht, Angst oder Schrecken nicht das mildeste, zur Angriffsabwehr geeignete Mittel verwendet und somit die Grenze der Erforderlichkeit überschreitet. In dem, dem Beschluss zugrunde liegenden Sachverhalt, schoss der Beschuldigte, obwohl andere Notwehrhandlungen milder und gleich geeignet waren, dem Betroffenen in die Brust. Somit verwendete er nicht das zur Notwehr erforderliche Abwehrmittel. Das Landgericht lehnte das Vorliegen eines Notwehrexzesses mit der Begründung ab, der Beschuldigte habe lediglich geschossen, weil der Betroffene auch auf ihn geschossen habe. Somit schoss der Beschuldigte aus Notwehr und nicht aus Furcht, Angst oder Schrecken. Es liegt kein strafbefreiender Notwehrexzess des Beschuldigten vor. An anderer Stelle erachtete das Landgericht die Tatsache, dass der Betroffene als Erster geschossen habe, jedoch als widerlegt. Daran anknüpfend lehnte der Bundesgerichtshof die Verneinung eines Notwehrexzesses durch das Landgericht ab. Das Landgericht hätte die widerlegte Annahme, der Betroffene habe zuerst geschossen, nicht verwenden dürfen um einen Notwehrexzess des Beschuldigten abzulehnen. Weiterhin gab der Beschuldigte an, kurz vor Abgabe des Schusses vor dem Durchdrehen gewesen und hektisch hin und her gelaufen zu sein. Dies spricht für ein Handeln des Beschuldigten aus Angst, Furcht oder Schrecken im Sinne eines Notwehrexzesses.
Anwalt für Strafrecht: Der dubio pro reo Grundsatz bei mehreren Sachverhaltsalternativen
Lassen sich in der Verhandlung zu einem Sachverhalt keine Feststellungen treffen, so ist nach dem Grundsatz in dubio pro reo der für den Beschuldigten günstigste Sachverhalt anzunehmen. Will der Beschuldigte von einer Tatbegehung strafbefreiend zurücktreten, so darf der Rücktritt nicht fehlgeschlagen sein. Fehlgeschlagen ist ein Rücktritt, wenn der Beschuldigte erkennt, dass er die Tat nicht mehr mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln vollenden kann. Führt eine der möglichen Sachverhaltsalternativen dazu, dass der Rücktritt des Beschuldigten nicht fehlgeschlagen ist und er somit zurücktreten kann, so ist diese durch das Gericht anzunehmen. In seinem Beschluss vom 15. Mai 2014 – 2 StR 581/13 hatte sich der Bundesgerichtshof mit der Frage zu befassen, ob ein Sachverhalt einem Tatverlauf zugrunde zu legen ist, wenn dieser grundsätzlich günstiger ist, tatsächlich jedoch einen Rücktritt ausschließt. Im entsprechenden Fall verurteilte das Landgericht den Beschuldigten wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung. Der Beschuldigte bedrohte die Betroffenen mit einer Schreckschusspistole. Diese zeigten sich hiervon unbeeindruckt. Das Landgericht konnte nicht feststellen, ob die Pistole geladen war und ging zugunsten des Beschuldigten von einer ungeladenen Pistole aus. Im Zuge dessen nahm das Landgericht jedoch an, dass die Drohung durch den Beschuldigten, mangels Möglichkeit einen Schuss abzugeben, nicht mehr verstärkt werden konnte und dass der Versuch aufgrund der, von der Drohung unbeeindruckten, Betroffenen fehlgeschlagen ist. Nach Ansicht des Bundesgerichtshofs hätte das Landgericht unter Anwendung von in dubio pro reo annehmen müssen, die Waffe des Beschuldigten sei geladen. Da dies es dem Beschuldigten, mangels Fehlschlag des Versuchs, ermöglicht hätte von der Tatbegehung zurückzutreten.
Anwalt für Strafrecht: Generalprävention bei der Strafzumessung
Der Bundesgerichtshof hatte sich in seinem Beschluss vom 11. April 2013 – 5 StR 113/13 damit zu befassen, welche Anforderungen an eine Begründung der Strafzumessung aus generalpräventiven Gründen zu stellen sind. Dem Beschluss lag eine Entscheidung eines Landgerichts zugrunde, welches das Strafmaß des Beschuldigten aus generalpräventiven Erwägungen erhöhte. Durch generalpräventive Gesichtspunkte soll durch das Urteil nicht auf den Beschuldigten, sondern auf die Allgemeineinheit eingewirkt werden. Im Zuge dessen führt der Bundesgerichtshof aus, dass eine hohe Strafe nicht allein damit begründet werden kann, dass diese generalpräventiven Zwecken dient. Grundsätzlich können generalpräventive Gesichtspunkte bei der Strafzumessung Berücksichtigung finden. Jedoch dürfen für deren Begründung nur Umstände herangezogen werden, welche über die vom Gesetzgeber durch den Straftatbestand bereits vorgenommene allgemeine Abschreckung hinausgehen. Dies liegt vor, wenn sich eine gemeinschaftsgefährdende Zunahme gleicher oder vergleichbarer Straftaten, wie sie zur Verhandlung stehen, nachweisen lässt.
Anwalt für Strafrecht: Schuldfähigkeitsbeurteilung
Mit Beschluss vom 15. April 2014 (3 StR 48/14) setzt sich der Bundesgerichtshof mit der Frage auseinander, wie die Schuldfähigkeit einer Person zu beurteilen ist, die Betäubungsmittel angebaut und konsumiert hatte. Dem Beschluss lag als Sachverhalt zugrunde, dass der Beschuldigte Betäubungsmittel zum Zwecke des Eigenbedarfs und der Weiterveräußerung angebaut hatte.
Für die Beurteilung der Schuldfähigkeit einer Person kommt es nach § 20 StGB darauf an, dass die Person unter einer psychischen Störung leidet. Diese psychische Störung muss dazu geführt haben, dass die Person nicht mehr dazu in der Lage war, das Unrecht seiner Tat in der konkreten Situation einzusehen und dies zu unterbinden.
Der Bundesgerichtshof stand hier vor der Frage, ob die Schuldfähigkeit der betroffenen Person getrennt zu beurteilen war. Denn grundsätzlich muss sich die Schuldfähigkeit auf eine konkrete Tat beziehen, da sich eine psychische Störung auf unterschiedliche Delikte unterschiedlich auswirken kann. Für den Bundesgerichtshof kam es hier jedoch nicht auf eine getrennte Betrachtungsweise der Schuldfähigkeit an. Hier lagen durch eine Handlung zwei betäubungsmittelrechtliche Tatbestände vor. Es handelte sich um den Eigenbedarf und den Weiterverkauf von Betäubungsmitteln durch den Anbau von Betäubungsmitteln. Eine getrennte Überprüfung der Schuldfähigkeit kommt nach Auffassung des Bundesgerichtshofs dabei nicht in Betracht, da dies für die Entscheidung keine wesentliche Rolle spielt. Die unterschiedliche rechtliche Bewertung des Anbaus für den Eigenbedarf und den Weiterverkauf wirkt sich auf die Schuldfähigkeit nicht unterschiedlich aus.
Anwalt für Strafrecht: Das letzte Wort des Angeklagten
Nach Schluss der Beweisaufnahme steht dem Angeklagten nach § 258 Abs. 2 StPO das letzte Wort zu. Wird ihm das letzte Wort nicht erteilt, so kann dies zur Aufhebung des Urteils führen, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Urteil durch die Äußerung des Angeklagten anders ausgefallen wäre.
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in seinem Beschluss vom 26. April 2017 – 4 StR 645/16 klargestellt, dass bei einer Hauptverhandlung gegen einen jugendlichen Angeklagten dessen Vormund bzw. dessen gesetzlichem Vertreter das letzte Wort erteilt werden muss. Denn nach § 258 Abs. 2 und 3 StPO i.V.m. § 67 Abs. 1 JGG ist den Erziehungsberechtigten und gesetzlichen Vertretern in allen Fällen Gelegenheit zur Äußerung zu geben, in denen der noch nicht volljährige Angeklagte ein Recht darauf hat.
In dem Verfahren gegen die Angeklagte wegen Mordes vor dem Landgericht Bielefeld hatte der Onkel der Angeklagten als ihr Vormund die gesetzliche Vertretung inne, sodass ihm Gelegenheit zur Stellungnahme hätte gegeben werden müssen. Da der BGH nicht ausschließen konnte, dass das Urteil im Falle der Gewährung des letzten Wortes an den Vormund anders ausgefallen wäre, musste der BGH das Urteil des Landgerichts Bielefeld aufheben.
Anwalt für Strafrecht: Merkmal der „Zwangslage“ beim Menschenhandel
In seinem Beschluss vom 16. Juli 2014 – 5 StR 154/14 hat sich der Bundesgerichtshof zu dem Merkmal der „Zwangslage“ im Sinne des Menschenhandels nach § 232 Abs. 1 StGB eingelassen. Er befasste sich dabei mit der Frage, ob eine wirtschaftlich schlechte Lage im Heimatland der Geschädigten für die Ausnutzung einer Zwangslage ausreichend ist.
Eine Zwangslage im Sinne des § 232 Abs. 1 StGB liegt unter zwei Voraussetzungen vor. Zum einen muss die Entscheidungs- und Handlungsmöglichkeit einer Person eingeschränkt sein. Zum anderen muss diese Einschränkung konkret dazu geeignet sein, den Widerstand gegen Angriffe auf die sexuelle Selbstbestimmung zu verringern. Die Straferwartung im Falle des Menschenhandels nach § 232 Abs. 1 StGB liegt bei sechs Monaten bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe.
Die geschädigten Frauen wurden in ihrem Heimatland Nigeria von den Angeklagten angesprochen und dazu gebracht nach Deutschland zu kommen. Sie sollten in Deutschland der Prostitution nachgehen. Der Bundesgerichtshof bestätigte in seiner Entscheidung, dass das Ausnutzen einer Zwangslage im Heimatland der Opfer den Tatbestand des Menschenhandels verwirklicht. Dafür reichte die Einschränkung der Entscheidungs- und Handlungsmöglichkeit durch die schlechte wirtschaftliche Lage der geschädigten Frauen aus. Dieser Umstand war geeignet den Widerstand gegen Angriffe auf die sexuelle Selbstbestimmung der Geschädigten bereits im Zeitpunkt dieser „Rekrutierung“ zu mindern. Daher war es auch nicht erforderlich weitere erschwerende Umstände zu prüfen, die geeignet gewesen wären den Widerstand der jeweiligen Geschädigten zu überwinden. Damit erübrigte sich auch die Prüfung, ob der Beschluss der Geschädigten sich zu prostituieren bereits vor Einreise nach Deutschland bestand oder erst durch die Angeklagten hervorgerufen wurde.
Anwalt für Strafrecht: Schaden als wesentlicher Strafzumessungsgesichtspunkt
Mit Beschluss vom 15.04.2014 – 2 StR 566/13 hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass der Schaden der durch die Tatbegehung entsteht, ein wesentlicher Umstand bei der Strafbemessung ist. Der Angeklagte hatte in fünfundzwanzig Fällen Sachen aus verschlossenen Fahrzeugen entwendet. Dadurch handelte es sich nicht mehr um einen einfachen Diebstahl gemäß § 242 StGB sondern bereits um einen Fall des besonders schweren Diebstahls nach § 243 StGB. Beim schweren Diebstahl erhöht sich der Strafrahmen im Gegensatz zu dem des einfachen Diebstahls. Während der einfache Diebstahl gemäß § 242 Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren vorsieht, kommt bei einem schweren Diebstahl gemäß § 243 StGB lediglich Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu zehn Jahren in Betracht. Nach Auffassung des Bundesgerichtshofs hätte das Landgericht zwischen den einzelnen Schäden beim Entwenden differenzieren sollen. Die angerichteten Schäden reichten von 20,00 € bis zu 2.300,00 €. Das Landgericht hatte für die Einzeltaten jeweils Freiheitsstrafen von zwei Jahren und sechs Monaten festgesetzt. Der Bundesgerichtshof stellt klar, dass es im Einzelfall zu niedrigeren Strafen gekommen wäre, wenn das Landgericht die einzelnen Schäden differenziert berücksichtigt hätte.
Anwalt für Strafrecht: Verständigung im Strafprozess
Die Verständigung im Strafprozess, also die Abmachung zwischen Angeklagtem und Gericht, gegen ein Geständnis eine geringere Strafe zu bekommen, kann für alle Beteiligten eine Erleichterung sein. Dies gilt allerdings nur, wenn das Gericht seinen gesetzlichen Verpflichtungen nachkommt und den Betroffenen über alle Folgen des sogenannten „Deals“ belehrt. Dazu gehört auch den Betroffenen darüber aufzuklären, dass die „ausgehandelte“ Strafhöhe für das Gericht nicht zwingend bindend ist. Denn nach § 257c Abs. 4 der Strafprozessordnung (StPO) entfällt die Bindung des Gerichts an eine Verständigung, wenn rechtlich oder tatsächlich bedeutsame Umstände übersehen worden sind oder sich neu ergeben haben und das Gericht deswegen zu der Überzeugung gelangt, dass der in Aussicht gestellte Strafrahmen nicht mehr tat- oder schuldangemessen ist. Im Grunde genommen kann sich das Gericht damit von der Verständigung lösen, wenn es etwa einen wichtigen strafschärfenden Aspekt in den Akten übersehen hat.
Belehrt das Gericht den Betroffenen nicht schon bei Unterbreitung des konkreten Verständigungsvorschlags über die nur eingeschränkte Bindungswirkung, so führt dieser Rechtsfehler in der Regel zur Aufhebung des Urteils. Dies entschied der Bundesgerichtshof (BGH) mit seinem Beschluss vom 24. Januar 2017 – 5 StR 15/17 und hob das Urteil des Landgerichts Dresden auf.
Anwalt für Strafrecht: Verbotene Vernehmungsmethoden
In seiner Entscheidung vom 25. Oktober 2016 - 2 StR 84/16 hat der Bundesgerichtshof (BGH) erneut betont, dass bewusste Täuschungen über die Beweis- und Verfahrenslage als Täuschung im Sinne des § 136a StPO gelten. Nach diesem sind Angaben des Beschuldigten, die durch die Täuschung erlangt wurden, nicht verwertbar.
Die verbotene Täuschung ist nach ständiger Rechtsprechung des BGH abzugrenzen von erlaubter kriminalistischer List, bei der zumindest Fangfragen gestellt oder doppeldeutige Erklärungen abgegeben werden dürfen. Die Grenze ist jedoch überschritten, wenn Vernehmungsbeamte bewusst falsche Angaben über Rechtsfragen machen oder gar Tatsachen vorspiegeln, die tatsächlich nicht existieren. Lügen sind demnach nicht mehr von kriminalistischer List erfasst.
In dem vom BGH zu verhandelnden Fall lag ein solcher Fall der Täuschung über die Beweislage vor. Dem Beschuldigten wurde ein Mord vorgeworfen. In seiner ersten Vernehmung wies der Vernehmungsbeamte ihn mehrmals darauf hin, dass er ihn zwar nicht für einen "Mörder" halte, die Tat aber angesichts der gravierenden Verletzungsfolgen und des Nachtatverhaltens wie ein "richtiger, klassischer Mord" erscheine, wenn der Beschuldigte dies nicht richtigstelle und sich zur Sache einlasse. Daraufhin räumte der Beschuldigte den äußeren Tatablauf weitgehend ein, obwohl tatsächlich noch kein dringender Tatverdacht wegen Mordes gegen ihn bestand.
Anwalt für Strafrecht: Untersuchungshaft
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit seinem Beschluss vom 29. September 2016 - StB 30/16 über die konkreten Anforderungen an die Aufrechterhaltung eines Haftbefehls während einer laufenden Hauptverhandlung entschieden. Dabei verwies der BGH darauf, dass das Gericht, welches den Haftbefehl überprüft, sich mit den Ergebnissen der Hauptverhandlung auseinandersetzen muss. Will es den Haftbefehl aufrechterhalten, reicht es nach Ansicht des BGH nicht aus, einfach auf das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen oder auf eine frühere Entscheidung zur Haftfortdauer zu verweisen. Denn in der Hauptverhandlung könne sich der hinreichende Tatverdacht abschwächen oder ganz entfallen. Es muss also zumindest knapp dargestellt werden, aus welchen Erkenntnissen der Beweisaufnahme sich ein hinreichender Tatverdacht weiterhin ergibt.