Urteile und Entscheidungen im Strafrecht

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Anwalt für Strafrecht: Beleidigung

Wird jemand allein aufgrund seiner Hautfarbe von der Polizei gebeten sich auszuweisen, so kann ein Vergleich des Polizeiverhaltens mit "SS-Methoden" von der Meinungsfreiheit gerechtfertigt sein und stellt demnach keine Beleidigung gem. § 185 StGB dar.

In dem Verfahren 2 Ss 329/11 vom 20.03.2012 sprach das Oberlandesgericht Frankfurt einen Angeklagten frei, der auf die Aufforderung der Polizei, sich im Regionalexpress auszuweisen, geäußert hatte, dass ihn dies an SS-Methoden erinnere. Die Nachfrage des Beamten, ob der Angeklagte ihn beleidigen oder als Nazi beschimpfen wolle, verneinte er.
Nach Ansicht des Gerichts kann die Äußerung des Angeklagten als ''Beleidigung'' im Sinne des § 185 StGB eingeordnet werden, da sie bei objektiver Bewertung nur so verstanden werden kann, als würde der Angeklagte das Vorgehen der Polizisten mit den Methoden im NS-Staat vergleichen und daher auch die handelnden Beamten selbst in die Nähe von SS-Mitgliedern rücken. Da sich die Kritik des Angeklagten jedoch in erster Linie gegen die gezielte Auswahl seiner Person aufgrund der Hautfarbe richtete und er dies jedenfalls subjektiv als Diskriminierung empfand, durfte er das polizeiliche Vorgehen unter dem Schutz der Meinungsfreiheit einer kritischen Würdigung unterziehen. Auch wenn die Wortwahl stark polemisiert war, nahm das Gericht nach einer Abwägung des Ehrschutzes und der Meinungsfreiheit eine Wahrnehmung berechtigter Interessen seitens des Angeklagten, also den Rechtfertigungsgrund des § 193 StGB an. Die Grenze der zulässigen Meinungsäußerung sei nicht überschritten, was sich vor allem in der deutlichen Distanzierung des Angeklagten von einer persönlichen Herabsetzung auf die Nachfrage des Beamten, gezeigt habe.

Anwalt für Strafrecht: Diebstahl

Bei gemischt genutzten Gebäuden liegt kein Wohnungseinbruchsdiebstahl vor, wenn der Täter in einen Geschäftsraum einbricht und es ihm darum geht, von dort ohne weitere Hindernisse aus dem Wohnbereich stehlen zu können, jedoch nur soweit die Räumlichkeiten vom Wohnbereich völlig getrennt sind.

In seinem Urteil vom 22.02.2012 - 378/11 hatte sich der erste Strafsenat des Bundesgerichtshofs mit einer Reihe von Einbruchsdiebstählen in Pfarrhäuser, Zahnarztpraxen und andere Objekte zu befassen. Aufgrund der vom Landgericht unberücksichtigt gebliebenen Bewertung der Räume als Wohn- oder Geschäftsräume, sah sich der BGH gezwungen, einige grundlegende Kriterien zum Wohnungseinbruchsdiebstahl bei gemischt, also zugleich Wohn- und Geschäftszwecken, genutzten Gebäuden auszuführen.

Danach liegt ein Wohnungseinbruchsdiebstahl im Sinne des § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB immer dann vor, wenn der Täter nur deshalb in einen privaten Wohnraum einbricht, um von dort ungehindert in die Geschäftsräume zu gelangen und dort zu stehlen.
Folglich kann kein Wohnungseinbruchsdiebstahl angenommen werden, wenn der Täter in einen Geschäftsraum einbricht und es ihm nur darum geht, von dort ohne weitere Hindernisse in den Wohnbereich zu gelangen und dort zu stehlen. Dies gilt allerdings nur, wenn die geschäftlichen Räumlichkeiten vom Wohnbereich völlig getrennt sind.
Dagegen liegt ein Wohnungseinbruchsdiebstahl vor, wenn in einen Raum eingebrochen wird, der zwar ausschließlich beruflich genutzt wird, aber derart in den Wohnbereich integriert ist, dass insgesamt eine geschlossene Einheit vorliegt, wie beispielsweise bei einem Büro eines Rechtsanwalts in dessen Wohnung.

Vergleichbares gilt nach Ausführgen des BGH auch für Einbrüche in Nebenräume, wie Keller oder Garagen. Auch hier kann kein Wohnungseinbruchsdiebstahl angenommen werden, wenn die Räume abgeschlossen oder selbstständig sind. Bricht der Täter allerdings in den Keller eines Einfamilienhauses ein, so stellt dieses einen Wohnungseinbruchsdiebstahl nach § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB dar, weil dieser dem Begriff des Wohnens typischerweise zuzuordnen ist.

Anwalt für Strafrecht: Üble Nachrede / Beleidigung

Bei einem Angriff auf die Ehre eines Menschen muss das Gericht im Rahmen einer möglichen Strafbarkeit wegen Beleidigung oder übler Nachrede aufgrund unterschiedlicher Strafbarkeitsgrenzen eine Abgrenzung zwischen Werturteil und Tatsachenbehauptung vornehmen.

In einer Entscheidung des Kammergerichts Berlin vom 30.04.12 - 161 Ss 80/12 - musste sich das Kammergericht Berlin im Rahmen einer Verurteilung wegen ''Verleumdung'' als Revisionsgericht mit der Frage auseinandersetzen, ob die Formulierung "Alkoholiker" eine Tatsachenbehauptung oder ein Werturteil darstellt. Werturteile sind unter Berücksichtigung der von Art. 5 GG geschützten Meinungsfreiheit auf etwaiges strafrechtlich relevantes ehrverletzendes Verhalten zu prüfen. Die strafrechtliche Beurteilung von Tatsachenbehauptungen wird grundsätzlich vom Wahrheitsgehalt der Aussage abhängig gemacht. Ein Werturteil kann auch vorliegen, wenn der tatsächliche Gehalt einer Äußerung so substanzarm ist, dass auch ein etwaig erkennbarer Tatsachenkern gegenüber der persönlichen Wertung vollständig in den Hintergrund tritt. Bei der notwendigen Auslegung einer Formulierung darf das Gericht auch nicht einseitig auf die für den Beschuldigten ungünstigste Auslegungsalternative abstellen. Vielmehr sind alternative, nicht völlig abwegige Deutungsmöglichkeiten einer Aussage mit schlüssigen Argumenten auszuschließen, bevor eine Verurteilung wegen ''Beleidigung'' oder ''Verleumdung'' erfolgen kann.

Anwalt für Strafrecht: Straßenverkehrsrecht / Falschparken

Auch hartnäckiges Falschparken kann den Führerschein kosten. Eine Fahrerlaubnis kann nach einem Eilbeschluss des Verwaltungsgerichts Berlin ungeachtet der im Verkehrszentralregister eingetragenen Punktzahl auch dann entzogen werden, wenn der Fahrerlaubnisinhaber nur bloße Ordnungsvorschriften nicht einhält.

Zwischen November 2010 und Juni 2012 waren mit zwei auf den Antragsteller zugelassenen Fahrzeugen insgesamt 144 Verkehrsordnungswidrigkeiten (127 Parkverstöße, 17 Geschwindigkeitsüberschreitungen) begangen worden. Daraufhin entzog das Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten sofort vollziehbar die Fahrerlaubnis des Antragstellers. Dieser machte hiergegen geltend, Parkverstöße brächten keine Gefahr für die Sicherheit der anderen Verkehrsteilnehmer mit sich. Die Verstöße hätten zum größten Teil seine Mitarbeiter verursacht. Soweit er das Fahrzeug gefahren habe, seien lediglich 42 Verstöße auf ihn zurückzuführen. Die von ihm begangenen Parkuhrverstöße hätten häufig ihren Grund darin, dass er entweder keine Zeit oder aber kein Münzgeld gehabt habe.

Die 4. Kammer des Verwaltungsgerichts bestätigte die Entscheidung der Behörde. Eine Fahrerlaubnis könne nicht nur bei Eintragungen im Verkehrszentralregister, sondern auch demjenigen entzogen werden, der sich aus anderen Gründen als ungeeignet erwiesen habe. Verstöße gegen Vorschriften des ruhenden Verkehrs seien für die Beurteilung der Fahreignung relevant, wenn sie sich über einen längeren Zeitraum derart häuften, dass dadurch eine laxe Einstellung und Gleichgültigkeit gegenüber Verkehrsvorschriften jedweder Art offenbar werde. Dies sei dann anzunehmen, wenn - wie hier - auf ein Jahr gesehen nahezu wöchentlich ein geringfügiger Verstoß anfalle. Der Antragsteller verkenne die von ihm ausgehende Gefahr, die in seiner unangemessenen Einstellung zu den im Interesse eines geordneten Straßenverkehrs erlassenen Rechtsvorschriften liege. Die nicht von ihm begangenen Verstöße habe er jedenfalls ermöglicht, weil er als Halter das rechtswidrige Verhalten Dritter mit auf seinen Namen zugelassenen Fahrzeugen nicht rechtzeitig und im erforderlichen Umfang unterbunden habe.

Verwaltungsgericht Berlin, Beschluss vom 10.09.2012 - Az.: VG 4 L 271.12

Anwalt für Strafrecht: Straßenverkehrsrecht / Bußgeld / Geschwindigkeitsverstoß

Die Geschwindigkeitsmessung mittels des Messgerätes "PoliScan speed" stellt nach Auffassung des Amtsgerichts Aachen kein "standardisiertes Messverfahren" dar. Die Messung war vorliegend nicht gerichtsverwertbar. Die betroffene Fahrzeugführerin war daher freizusprechen.

In der Sache wurde einer Autofahrerin eine Geschwindigkeitsüberschreitung außerhalb geschlossener Ortschaften von 48 km/h vorgeworfen. Es erging ein Bußgeldbescheid mit einer Geldbuße von 170,00 ?, drei Punkten im Verkehrszentralregister und einem Fahrverbot von einem Monat.

Grundlage für den Bußgeldbescheid war eine Messung mit dem Gerät Vitronic PoliScan speed, Softwareversion 1.5.5, verwendete Objektive 50mm und 75 mm, Betriebszustand automatisch, Seitenabstand zum Fahrstreifen 208 cm, Aufstellungshöhe 102 cm.

Das Gericht konnte jedoch keine sicheren Feststellungen dahin treffen, dass dieses Gerät die von der Betroffenen gefahrene Geschwindigkeit tatsächlich zutreffend gemessen hat.

Der Fahrzeugführerin konnte somit die Begehung des ihr vorgeworfenen Geschwindigkeitsverstoßes nicht mit einer für eine Verurteilung ausreichenden Sicherheit nachgewiesen werden. Beim Gericht seien nicht zu überwindende Zweifel an der Zuverlässigkeit der Geschwindigkeitsmessung mit dem Gerät PoliScan speed entstanden.

Das Amtsgericht Aachen stützte sich hierzu auf das schlüssige und widerspruchsfreie Gutachten eines Sachverständigen. Dieser hatte in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass eine Überprüfung von konkreten Messwerten im Rahmen einer nachträglichen Richtigkeitskontrolle beim Gerät PoliScan speed nicht möglich sei. Dies liege daran, dass die Messwerte zwar grundsätzlich vorhanden seien, aber seitens der Herstellerfirma Vitronic aus patentrechtlichen Gründen nicht zur Verfügung gestellt würden. Es gebe ein erhebliches Informationsdefizit zulasten der Sachverständigen, weshalb das Gerät als eine "Black Box" beschrieben werden müsse. Aus diesem Grund sei lediglich eine näherungsweise Feststellung der Geschwindigkeit unter Analyse des Messfotos mit Hilfe des sogenannten "Smear-Effekts" möglich. Hierbei handele es sich nur um eine Pseudoauswertung, die mit einer Analyse der Messdaten nichts zu tun habe. Es komme dabei zu Abweichungen von bis zu 15% zu dem auf dem Messfoto angezeigten Wert.

Das Gericht war auch nicht in der Lage, die Richtigkeit der Messung unter Berücksichtigung von PoliScan speed als standardisiertes Messverfahren zugrundezulegen. Nach Auffassung des Gerichts handelt es sich bei PoliScan speed nicht um ein standardisiertes Messverfahren.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist unter einem standardisierten Messverfahren ein durch Normen vereinheitlichtes (technisches) Verfahren zu verstehen, bei dem die Bedingungen seiner Anwendbarkeit und sein Ablauf so festgelegt sind, dass unter gleichen Voraussetzungen gleiche Ergebnisse zu erwarten sind. Der BGH hat in einer früheren Entscheidung ebenfalls zu Geschwindigkeitsmessungen ausgeführt, dass die amtliche Zulassung von Geräten und Methoden ebenso wie die Reduzierung des gemessenen Wertes um einen - die systemimmanenten Messfehler erfassenden - Toleranzwert gerade den Zweck verfolgen soll, Ermittlungsbehörden und Gerichte von der Sachverständigenbegutachtung und Erörterung des Regelfalles freizustellen. Es entspreche allgemein anerkannter Praxis, dass auch im Bereich technischer Messungen Fehlerquellen nur zu erörtern seien, wenn der Einzelfall dazu Veranlassung. Technische Messsysteme, deren Bauart von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) zur innerstaatlichen Eichung zugelassen sei, würden in diesem Zusammenhang grundsätzlich als standardisierte Messverfahren anerkannt. Zu diesem Themenkomplex muss allerdings angemerkt werden, dass es keine Dogmatik des BGH zum Begriff des standardisierten Messverfahrens gibt. Der Begriff standardisiertes Verfahren ist überhaupt zum ersten Mal im Urteil des BGH vom 29.09.1992, Az.: 1 StR 494/92, aufgetaucht, in dem es um ein daktyloskopisches Gutachten ging. Dort ließ der BGH die Mitteilung des Ergebnisses ausreichen, wenn von keiner Seite Einwände gegen die Tauglichkeit der gesicherten Spur und die Zuverlässigkeit der Begutachtung erhoben würden.

Die Obergerichte, denen als Rechtsbeschwerdegerichte in OWi-Sachen regelmäßig Sachverhalte mit dem Geschwindigkeitsmessgerät PoliScan speed zur Entscheidung vorliegen, beschränken sich nunmehr auf die Feststellung, dass dieses von der PTB zugelassene Messsystem ein standardisiertes sei. Das OLG Düsseldorf hat das in einer Entscheidung dahingehend zusammengefasst, dass die Zulassung durch die PTB stets dazu führe, dass ein Messsystem zu einem standardisierten werde. Dieser durch das OLG Düsseldorf gezogene Schluss ist im Hinblick auf die BGH-Rechtsprechung folgerichtig.

Aus Sicht des rechtssuchenden Bürgers wäre diese Konstruktion hinnehmbar, wenn zumindest die Möglichkeit für gerichtlich bestellte Sachverständige bestünde, die Grundlagen für die Zulassung, insbesondere die exakte Funktionsweise des Messsystems, bei der PTB zu überprüfen, oder aber die Prüfung durch die PTB über jeden Zweifel erhaben wäre.

Ebenso wie die Herstellerfirma des Geräts PoliScan speed gewährt jedoch nach den glaubhaften Angaben des im vorliegenden Prozess bestellten gerichtlichen Sachverständigen auch die PTB keinen Zugang zu den relevanten Daten, ebenfalls mit Verweis auf patentrechtliche Bestimmungen zugunsten der Herstellerfirma. Im Rahmen einer Güterabwägung ist jedoch der Wahrheitsfindung im Bußgeldprozess der Vorrang gegenüber dem Interesse der Herstellerfirma an der Geheimhaltung der technischen Bauweise des Messgeräts einzuräumen. Es ist zwar leicht einsehbar, dass es für die Herstellerfirmen bequemer ist, den unbefugten Nachbau ihrer Geräte durch Geheimhaltung der technischen Spezifikationen als durch die Führung von Patentprozessen zu verhindern. Andererseits werden aufgrund von Messungen mit PoliScan speed bundesweit jährlich tausende Fahrverbote verhängt, die gravierende berufliche Folgen für die Betroffenen haben. Aufgrund der heute von den Arbeitnehmern verlangten Mobilität und der Lage auf dem Arbeitsmarkt ist es der Regelfall, dass bereits ein einmonatiges Fahrverbot zum Verlust des Arbeitsplatzes führt. Dieser Eingriff in Art. 12 Abs. 1 GG lässt sich durch Geheimhaltungsinteressen der Herstellerfirmen nicht rechtfertigen, zumal diese tatsächlich die Möglichkeit haben, gegebenenfalls eintretende Patentrechtsverletzungen gerichtlich geltend zu machen. Eine Firma, die sich darauf spezialisiert, Messgeräte herzustellen, mit denen regelmäßig in die Berufsfreiheit Dritter eingegriffen wird, hat diese Kontrolle durch Gerichte und Sachverständige hinzunehmen. Darüber hinaus erscheint es auch nicht nachvollziehbar, dass gerade die Untersuchung von Geräten und Messdaten durch gerichtlich bestellte und damit zur Verschwiegenheit verpflichtete Sachverständige dazu führen soll, dass Patentverletzungen Vorschub geleistet wird. Sollte tatsächlich jemand ein Interesse am unbefugten Nachbau von PoliScan speed haben, wäre es, anstatt an gerichtliche Sachverständige heranzutreten, analog zum Nachbau von deutschen Kraftfahrzeugen im Ausland für ihn naheliegender, schlicht und einfach einen Satz PoliScan speed zu kaufen und im Ausland nach allen Regeln der Kunst auseinanderzubauen.

All dies könnte natürlich vernachlässigt werden, wenn die Prüfung durch die PTB keine Angriffspunkte böte. Dies ist jedoch nicht der Fall. Eine nähere Untersuchung der Prüfungsweise der PTB anhand der Prüfung des vorliegenden Geräts PoliScan speed zeigt, dass nicht davon ausgegangen werden kann, dass die Prüfungen der PTB automatisch zu einer Anerkennung als standardisiertes Messverfahren führen.

So werden in der Literatur zum Beispiel Zweifel angemeldet, ob bei der PTB die Messwerterhebung durch PoliScan speed messtechnisch nachvollzogen werden kann. Die Vorgabe bei der PTB ist, dass jedem gültigen Geschwindigkeitsmesswert des neu zuzulassenden Geräts ein gültiger Wert einer Referenzmessung mit einem anderen Gerät gegenüberzustellen ist. Da jedoch die Referenzanlagen im Gegensatz zu PoliScan speed keine ausgedehnte Messzone, sondern nur kurze Messstrecken sowie Messzeiten überwachen, ist mithilfe der PTB-Referenzquellen eine Überprüfung eventueller Geschwindigkeitsschwankungen im Rahmen einer 25-30m langen Auswertestrecke beim PoliScan speed-Verfahren nicht möglich. Darüber hinaus wird in der Literatur vertreten, dass der auf PoliScan-Fotos eingeblendete Auswerterahmen nicht den Vorgaben der PTB (Ablichtung des Bereichs der Messwertbildung) entspricht, da der Bereich der Messwertbildung bei PoliScan speed deutlich früher stattfindet als der Moment der Auslösung des Fotos. Desweiteren ist nachgewiesen worden, dass der Auswerterahmen in bestimmten Konstellationen, insbesondere im unteren Geschwindigkeitsbereich, sogar auf stehenden Fahrzeugen zu sehen sein kann, wenn das gemessene Fahrzeug plötzlich nach rechts lenkt. Für solche Fälle hätte die PTB einen aufmerksamen Messbetrieb oder eine besondere Beschaffenheit der Messstelle vorschreiben müssen, was nicht geschehen sei. Die Zuordnung des Auswerterahmens ist auch bei mehreren durchs Bild fahrenden Fahrzeugen ein Problem. Dies führte dazu, dass sich das OLG Karlsruhe mit der Krücke behalf, jedenfalls bei Erfassung lediglich eines Fahrzeuges funktioniere das Gerät einwandfrei. Wie prüft aber das OLG Karlsruhe, ob nicht ein Fahrzeug die Messung verursacht hat, welches im Bild nicht mehr zu sehen ist?

Auch im Hinblick auf die im vorliegenden Fall verwendete Softwareversion 1.5.5. erscheinen Bedenken angebracht. Diese Version wurde vom Hersteller von PoliScan speed als Nachfolgerin der Versionen 1.5.3 und 1.5.4 in Umlauf gebracht, nachdem dort Probleme mit einer verzögerten Kameraauslösung aufgetreten waren. Diese führten dazu, dass es in 1-2% der Fälle zu Bildauslösungen mit Verzögerungen von 0,1 bis 0,15 Sekunden kam. Die Einführung der neuen Version geschah, obwohl der Hersteller nicht feststellen konnte, unter welchen Bedingungen der genannte Fehler auftrat. Es ist anzumerken, dass vor Einführung der neuen Version nahezu bei allen Geräten die beschriebenen Kamerafehlfunktionen aufgetreten sind. Diese Probleme wurden von der Herstellerfirma Vitronic erkannt und führten zur Entwicklung der neuen Version 1.5.5, allerdings ohne alle Betreiber der Anlagen über die Fehlfunktionen zu informieren, sodass es weiter zu Messungen mit den fehlerhaften Versionen kam. In diesem Zusammenhang muss hinterfragt werden, ob die PTB ihrer Aufgabe bei der Überwachung der Zulassung der Geräte tatsächlich nachgekommen ist. Auch für die im vorliegenden Fall verwendete Version 1.5.5 sind Hinweise vorhanden, dass es zu verzögerten Fotoauslösungen kommen kann. Der Fehler konnte daher nicht behoben, sondern lediglich die Auswirkungen durch eine Überwachung des Zeitpunkts des Belichtungssignals der Kameraeinheit eingegrenzt werden. Da diese Überwachung jedoch nicht funktionierte, hat auch die neue Softwareversion keine wesentlichen Verbesserungen mit sich gebracht. Darüber hinaus erstaunt, wenn bei Bekanntwerden von Fehlern einer alten Software zwar die neue Software durch die PTB zugelassen, die alte aber bis zur nächsten Eichung (die über ein Jahr später liegen kann) weiter benutzt werden darf.

Es ist derzeit so, dass ein Gerät zur PTB geschickt wird, mit einem Stempel der PTB aufgrund eines wie auch immer gearteten Prüfungsverfahrens zurückkommt und sodann aufgrund des PTB-Gütesiegels für den Einsatz als standardisiertes Messsystem zur Verfügung steht. In diesem Stadium eröffnen sich keinerlei Rechtsschutzmöglichkeiten für den Bürger, da er durch die die Herstellerfirma begünstigende Zulassung nicht unmittelbar drittbetroffen ist. Bei einer Messung durch das Messgerät wird ihm dann durch die Obergerichte entgegnet, dass das Gerät zugelassen sei und deshalb keine Überprüfungsmöglichkeiten bestünden. Diese Argumentation ist jedoch nicht schlüssig, da es aus rechtsstaatlichen Gesichtspunkten, insbesondere unter dem Blickwinkel des Gewaltenteilungsprinzips, nicht hinnehmbar ist, dass Gerichte ohne die Möglichkeit eigener Überprüfung Bescheide und Genehmigungen von Behörden als unumstößlich hinnehmen. In diesem Zusammenhang mutet es skurril an, dass mit der Begründung, eine Behörde habe die Unfehlbarkeit des Messgerätes festgestellt, die Bußgeldbescheide von anderen Behörden, die mit diesem Messgerät arbeiten, ebenfalls faktisch unangreifbar werden.

Aus praktischer Sicht sei angemerkt, dass durch die Offenlegung der Messdaten durch die Herstellerfirma oder die PTB sicherlich keine Gutachtenflut und Kostenexplosion auftreten würde. Funktioniert das Gerät einwandfrei und lässt sich dies durch die Messdaten nachweisen, wird dies durch Gutachten bestätigt werden. Die Zuverlässigkeit des Gerätes wäre dann früher oder später aufgrund dieser konkreten Gutachten allgemein bekannt, sodass dann tatsächlich auf das Gerät als standardisiertes Messverfahren verwiesen werden kann und keine weiteren Gutachten mehr erforderlich sind. Darüber hinaus würde der PTB, die in ihrem Bereich über ein deutschlandweites Monopol verfügt, sicherlich ein gewisses Maß an gerichtlicher Kontrolle nicht schaden, allein schon um die Transparenz ihrer Prüfungen zu gewährleisten.

Amtsgericht Aachen, Urteil vom 10.12.2012 - Az.: 444 OWi-606 Js 31/12-93/12

Anwalt für Strafrecht: Körperverletzung

Ein Schlag mit der Hand gegen die von einem Pressefotografen vor seinem Gesicht gehaltene Kamera erfüllt nicht ohne weiteres den Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung durch Verwenden eines gefährlichen Werkzeugs.

Das Oberlandesgericht Hamburg stellte mit Beschluss vom 5.4.2012 - Aktenzeichen 3-14/12 unter anderem fest, dass es sich bei einer Kamera nicht zwingend um ein gefährliches Werkzeug handelt.

Ein gefährliches Werkzeug ist ein Gegenstand, der nach seiner objektiven Beschaffenheit und nach Art der Benutzung im Einzelfall geeignet ist, erhebliche ''Körperverletzungen'' zuzufügen. Dabei kommt es nach Ausführungen des Gerichts entscheidend auf die Erheblichkeit der Verletzungen an, die der Täter durch den Einsatz des Werkzeuges verursacht hat oder verursachen wollte.

Im zu verhandelnden Fall hatte der Angeklagte mit flacher Hand gegen die Kamera eines Pressefotografen geschlagen, um weitere Bildaufnahmen zu verhindern. Dadurch, dass die Kamera gegen das Gesicht des Fotografen gedrückt wurde, erlitt dieser Schmerzen im Oberkiefer und Kopfschmerzen, die allerdings nicht behandelt werden mussten und nach wenigen Tagen wieder verschwunden waren.

Diese Verletzungen stufte das Oberlandesgericht als vergleichsweise gering ein. Auch hätten sie durch einen Schlag mit der bloßen Hand in das Gesicht herbeigeführt werden können. Außerdem habe das Landgericht nicht hinreichend belegt, dass der Angeklagte durch den Schlag tatsächlich erhebliche Verletzungen verursachen wollte. Auf dieser Grundlage sei lediglich eine Verurteilung wegen einfacher ''Körperverletzung'' möglich gewesen. Die Strafe einer ''gefährlichen Körperverletzung'' beträgt Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren. Im Gegensatz hierzu sieht das Gesetz für eine einfache Körperverletzung lediglich Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren vor.

Anwalt für Strafrecht: Alkohol / Schuldfähigkeit

Trotz hohem Blutalkoholwert von 3,88? muss keine Schuldunfähigkeit vorliegen

Das Landgericht Kleve hat mit Urteil vom 26.01.2012 (120 KLs 41/11) entschieden, dass der Täter trotz einer hohen Blutalkoholkonzentration (BAK) von 3,88 Promille nicht zwangsläufig schuldunfähig (§ 20 StGB) ist. Regelmäßig wird zwar die Schuldunfähigkeit des Täters bei einer BAK von 3? ( 3,3? bei schweren Angriffen gegen die körperliche Unversehrtheit) gesehen. Ein höherer Grenzwert kann aber unter Berücksichtigung der Trinkgewohnheiten des Täters im Einzelfall angenommen werden, auch wenn die BAK nicht durch eine Blutentnahme nach der Tat ermittelt, sondern später anhand der Widmark-Formel berechnet wird. So kann nämlich bei Betrachtung aller relevanten Umstände auch nur eine verminderte Steuerungsfähigkeit des Täters vorliegen, die nicht zum Ausschluss der Schuldfähigkeit führt.

Anwalt für Strafrecht: Straßenverkehrsrecht / Fahrtenbuch

Die Führung eines Fahrtenbuches kann auch dann angeordnet werden, wenn der Fahrzeughalter an der Feststellung eines Verkehrsverstoßes mitgewirkt hat, die Ermittlungsbemühungen der Behörde aber dennoch erfolglos blieben.

Im zugrunde liegenden Fall hatte der Kläger in einem Anhörungsbogen zu einem Verkehrsverstoß angegeben, das Fahrzeug werde auch von seinen beiden Söhnen geführt. Bei den Beiden handele es sich um eineiige Zwillinge. Die Söhne selbst erklärten, sich zum Zeitpunkt des Verkehrsverstoßes im Fahrzeug befunden zu haben. Wer von ihnen das Fahrzeug geführt habe, könne nicht mehr gesagt werden.

Nach Auffassung des Verwaltungsgerichts Minden ist die Auferlegung eines Fahrtenbuchs nicht davon abhängig zu machen, ob der Fahrzeughalter die Unmöglichkeit der Feststellung des Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften zu vertreten hat. Die Führung eines Fahrtenbuches könne auch dann angeordnet werden, wenn der Fahrzeughalter an der Feststellung mitgewirkt habe, die gebotenen Ermittlungsbemühungen der Behörde gleichwohl " aus welchen Gründen auch immer " erfolglos geblieben seien.

Verwaltungsgericht Minden, Urteil vom 17.01.2013 - Az.: 2 K 1957/12

Anwalt für Strafrecht: Anwalt für Strafrecht

Bringt der Angeschuldigte auf einem Verkehrszeichen ein Hakenkreuz mit Papierfetzen eines Bieretiketts an und entfernt dieses sofort wieder, ohne dass ein nicht überschaubarer Personenkreis davon Kenntnis genommen hat, liegt kein öffentliches Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen nach § 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB vor.

Das Amtsgericht Rudolstadt lehnte in seinem Beschluss 375 Js 28454/12 -1 Ds jug vom 5.12.2012 die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen einen Angeschuldigten ab, der von der Staatsanwaltschaft wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen nach § 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB angeklagt wurde.
Der Angeschuldigte hatte ein nationalsozialistisches Kennzeichen auf einem Verkehrsschild angebracht, indem er angefeuchtete und zerteilte Fetzen eines Bieretiketts in Form eines Hakenkreuzes auf dem Schild anordnete. Noch bevor es ihm gelungen war, das Zeichen wieder abzuwischen, wurde er von zwei Polizeibeamten entdeckt.
Das Gericht führte hierzu aus, dass eine Verwendung eines nationalsozialistischen Kennzeichens im Sinne des § 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB erst dann vorliegt, wenn die Art der Verwendung die Wahrnehmbarkeit für einen größeren, durch persönliche, nähere Beziehungen nicht zusammenhängenden Personenkreis ermöglicht. Dabei sei nicht die Öffentlichkeit des Ortes, sondern der unbestimmte und unbeschränkte Personenkreis, für den das Kennzeichen wahrnehmbar ist, entscheidend. Folglich fehle es regelmäßig an der Öffentlichkeit der Verwendung, wenn das Kennzeichen nur gegenüber einzelnen Personen gebraucht wird. Die bloße Möglichkeit des Hinzutretens von Dritten reiche nicht aus.
Da das Hakenkreuz lediglich von den beiden Polizeibeamten gesehen wurde und zudem beim Antreffen des Streifenwagens sofort entfernt wurde, konnte das Amtsgericht hier mangels Erfüllung des Tatbestandes kein Hauptverfahren gegen den Angeschuldigten eröffnen.

Anwalt für Strafrecht: Anwalt für Strafrecht

Prüfung einer sexuellen Nötigung unter Ausnutzen einer schutzlosen Lage erfordert Auseinandersetzung mit einer eventuellen Fluchtmöglichkeit

Der Bundesgerichtshof hat mit Beschluss vom 20.03.12 (4 StR 561/11) entschieden, dass bei der Prüfung einer ''sexuellen Nötigung'' gem. § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB eventuelle Schutzmöglichkeiten, namentlich das Vorhandensein von Fluchtmöglichkeiten des Opfers zu berücksichtigen sind. Um festzustellen, ob eine schutzlose Lage des Opfers vorliegt, in der es sich den Gewalthandlungen des Täters nicht entziehen kann, ist eine Gesamtwürdigung aller relevanten Umstände vorzunehmen. Neben den äußeren Gegebenheiten (beispielsweise Beschaffenheit des Tatortes, Erreichbarkeit fremder Hilfe, Fluchtmöglichkeiten) ist auch das Vermögen des Opfers, Widerstand zu leisten oder erfolgreich die Flucht zu ergreifen, zu berücksichtigen.