Urteile und Entscheidungen im Strafrecht

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Totschlag durch Unterlassen durch Hebamme

Der Anwendungsbereich des § 212 StGB beginnt bei einem regulären Geburtsverlauf nach herrschender Auffassung mit dem Beginn der Eröffnungswehen.

Ob sich eine Hebamme wegen Totschlags durch Unterlassen strafbar gemacht hat, musste der Bundesgerichtshof (6 StR 128/23) in seinem Beschluss vom 2. November 2023 entscheiden. Die Angeklagte, die als Hebamme tätig war, bestärkte die Nebenklägerin darin, eine Hausgeburt durchzuführen. Nach dem Blasensprung schritt die Geburt nur sehr langsam voran. 3 Tage nach dem Blasensprung war der Muttermund sieben bis acht Zentimeter geöffnet. Einen Tag später verspürte die Nebenklägerin einen stechenden Schmerz im Bauch und nahm außerdem fortan keine Bewegungen des Kindes mehr wahr. Nachdem bei einer veranlassten Ultraschalluntersuchung nur noch ein stark verlangsamter Herzschlag festzustellen war, wurde ein Rettungswagen alarmiert. Spätestens während des Transports in das Krankenhaus verstarb das Kind an einer Minderversorgung des Körpers. Nach Eröffnung der Fruchtblase muss innerhalb von 18 bzw. spätestens 24 Stunden eine Antibiotikatherapie durchgeführt werden, wenn nicht abzusehen ist, dass die Geburt unmittelbar bevorsteht. Dies ist vorliegend nicht geschehen. Das Landgericht führte in seinem Beschluss aus, dass der Tod des Kindes drei Tage nach dem Blasensprung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu vermeiden gewesen wäre. Am darauffolgenden Tag hätte nur noch eine gewisse Wahrscheinlichkeit für das Überleben des Kindes bestanden. Weiterhin führt das Landgericht aus, dass sich die Angeklagte wissentlich den geltenden Leit- und Richtlinien entgegengesetzt hat, da sie tiefgreifende Vorbehalte gegen Krankenhausgeburten hat. Daher habe sich die Angeklagte unter anderem wegen Totschlags durch Unterlassen strafbar gemacht. Der Bundesgerichtshof bestätigt zwar, dass die Verurteilung wegen Totschlags möglich ist, da kein Schwangerschaftsabbruch nach § 218 StGB vorliegt. Vielmehr hat die Geburt nach den Eröffnungswehen bereits begonnen. Jedoch stellt der Bundesgerichtshof klar, dass ein Unterlassen nur dann ursächlich für den Erfolg ist, wenn dessen Eintritt bei Vornahme der gebotenen Handlung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verhindert worden wäre. Laut dem Urteil des Landgerichts sei der Angeklagten spätestens 4 Tage nach dem Blasensprung bewusst gewesen, dass ein weiteres Abwarten unweigerlich zum Tod des Kindes führen würde. Jedoch bestand zu diesem Zeitpunkt nur noch eine gewisse Wahrscheinlichkeit für die Rettung der Tochter.

Anwalt für Strafrecht: Raub

Zwischen dem Nötigungsmittel und der Wegnahme beim Raub muss ein sogenannter Finalzusammenhang bestehen. Das heißt: Das Nötigungsmittel muss nach Vorstellung des Täters die Wegnahme durch Überwindung eines zu erwartenden Widerstandes ermöglichen.

Ob ein Finalzusammenhang im vorliegenden Fall vorliegt, musste der Bundesgerichtshof (4 StR 115/23) in seinem Beschluss vom 7. November 2023 entscheiden. Die Geschädigte führte ein Verhältnis zum ehemaligen Lebensgefährten der Mutter des einen Angeklagten. Die Angeklagten entschlossen sich daraufhin, sie zur Rede zu stellen, sodass sie die Geschädigte in ihrer Wohnung verletzten und bedrohten. Spätestens als einer der Angeklagten merkte, dass die Geschädigte sich um ihr Leben und die Gesundheit ihrer Kinder fürchtete, entschloss er sich, den Fernseher  der Geschädigten mitzunehmen. Das Landgericht Essen verurteilte den Angeklagten wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung. Jedoch lag nach Auffassung des Bundesgerichtshofes im hiesigen Fall kein Finalzusammenhang vor, da die zuvor getätigten Handlungen nicht auf die Wegnahme gerichtet waren. Zwar kann auch eine konkludente Drohung möglich sein, jedoch muss sich aus den Gesamtumständen auch ergeben, dass der Täter einen möglichen Widerstand mit Gewalt gegen Leib oder Leben brechen werde.

Anwalt für Strafrecht: Erpresserischer Menschenraub

Beim erpresserischen Menschenraub nach § 239a StGB kann die Strafe gemildert werden, wenn der Täter das Opfer unter Verzicht der erstrebten Leistung in dessen Lebenskreis zurückgegangen lässt (§ 239a Abs. 4 StGB).

In seinem Beschluss vom 23. Februar 2024 hat der Bundesgerichtshof sich mit dem erpresserischen Menschenraub nach § 239a StGB auseinandergesetzt. Die Angeklagten hielten den Geschädigten mehrere Stunden fest, um von seinen Verwandten Geld zu erpressen. Diese bezahlten jedoch nicht. Nachdem zwei unbekannt gebliebene Männer die Angeklagten aufforderten, den Geschädigten gehen zu lassen, ließen sie diesen frei. Das Landgericht verurteilte den Angeklagten wegen erpresserischen Menschenraubs in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung. Der Bundesgerichtshof merkt in seinem Beschluss jedoch an, dass es rechtsfehlerhaft ist, eine mögliche Strafmilderung wegen tätiger Reue nach § 239a StGB zu verneinen, da sie den Angeklagten nicht freiwillig haben gehen lassen. Die Vorschrift setzt eine Freiwilligkeit nicht voraus.

Anwalt für Strafrecht: Sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen

Sexuelle Handlungen im Sinne des Gesetzes müssen gemäß § 184h Nr. 1 StGB in Hinsicht auf das jeweils geschützte Rechtsgut von einiger Erheblichkeit sein.

Der Bundesgerichtshof (2 StR 271/23) befasste sich in seinem Beschluss vom 24. August 2023 mit dem sexuellen Missbrauch von Schutzbefohlenen (§ 174 StGB). Der Angeklagte hielt mit dem Auto an, um an der Nebenklägerin, für die er eine Art Vaterersatz war, sexuelle Handlungen vorzunehmen. Er berührte den Oberschenkel der Geschädigten, öffnete seinen Gürtel und versuchte anschließend mit seiner Hand in die Hose der Nebenklägerin zu fassen. Diese lehnte das ab. Aufgrund vorbeifahrender Autos, hörte der Angeklagte mit den Handlungen auf. Das Landgericht Bonn stellte einen sexuellen Missbrauch von Schutzbefohlenen nach § 174 Abs. 1 Nr. 3 StGB fest. Laut Bundesgerichtshof überschreiten die Handlungen jedoch nicht die Erheblichkeitsschwelle des § 184h Nr. 1 StGB, der sexuelle Handlungen im Sinne des Gesetzes definiert. Jedenfalls ist hier aber Tatbestand eines versuchten sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen nach § 174 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 4 StGB gegeben, sodass der Senat den Schuldspruch änderte.

Anwalt für Strafrecht: Diebstahl

Wegen Diebstahls mit Waffen oder gefährlichen Werkzeugen macht sich auch strafbar, wer diese nur bei sich führt.

In seinem Urteil vom 11. September 2023 hat sich das OLG Zweibrücken (1 ORs 4 Ss 18/23) mit der Qualifikation des Diebstahls nach § 244 StGB beschäftigt. Der Angeklagte, der obdachlos war, wurde bei zwei Diebstählen erwischt, bei denen er jeweils Lebensmittel klaute. Beim ersten Diebstahl führte er ein geschliffenes Springmesser mit einer Klingenlänge von 14,5 cm mit sich, welches er zum Schutz und zum Zerkleinern von Lebensmitteln verwendete. Beim zweiten Diebstahl hatte er ein Taschenmesser bei sich, welches für das Schnitzen von Holz und für das Schneiden von Lebensmitteln bestimmt war. Das Amtsgericht nahm in beiden Fällen einen einfachen Diebstahl nach § 242 StGB an. Das Oberlandesgericht subsumiert die Fälle jedoch unter den Qualifikationstatbestand des § 244 Abs. 1 Nr. 1a StGB. Nach diesem macht sich strafbar, wer einen Diebstahl begeht und dabei eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt. Zum ersten Fall führt das OLG aus, dass es widersprüchlich erscheint, dass der Angeklagte das Messer allgemein zur Selbstverteidigung mit sich führte, aber sich zum Zeitpunkt des Diebstahls nicht über die Anwesenheit des Messers bewusst war. Im zweiten Fall gab der Angeklagte an, die Anwesenheit des Messers nicht im Kopf gehabt zu haben. Jedoch war das Messer dazu bestimmt im Nachgang die Lebensmittel zu schneiden.

Anwalt für Strafrecht: Zuhälterei

Abgaben in Höhe von 50 % der Einnahmen können eine ausbeuterische Zuhälterei nahelegen.

Ausbeuterische Zuhälterei: Mit diesem Thema hat sich der Bundesgerichtshof (3 StR 418/22) in seinem Beschluss vom 24. Januar 2023 auseinandergesetzt. Der Angeklagte wohnte für sechs Monate mit einer Prostituierten, mit der er eine Liebesbeziehung führte, zusammen in einer Mietwohnung. In dieser Zeit erwirtschaftete sie mindestens 97.000,00 €, von denen der Angeklagte mindestens 26.000,00 € für eigene Zwecke benutzte. Nachdem sie sich nach den Prostitutionserlösen erkundete, gab er vor, sie an zu erwarteten Einnahmen zu beteiligen, um sie zu besänftigen. Das Landgericht Düsseldorf würdigte dieses Verhalten als ausbeuterische Zuhälterei im Sinne des § 181a Abs. 1 Nr. 1 StGB. Der Bundesgerichtshof erklärte in seinem Beschluss jedoch, dass eine Ausbeutung im Sinne des § 181a Abs. 1 Nr. 1 StGB voraussetzt, dass dem Opfer in objektiver Hinsicht ein erheblicher Teil der Einnahmen entzogen wird und dies bei ihm zu einer gravierenden Beschränkung der persönlichen und wirtschaftlichen Bewegungs- und Entscheidungsfreiheit führt, die geeignet ist, die Lösung aus der Prostitution zu erschweren. Die Freundin des Angeklagten hat jedoch etwa 72.000,00 € behalten, was knapp 74 % ihrer Einnahmen entspricht. Auch hätte sie nach den getroffenen Feststellungen die Prostitution jederzeit aufgeben können.

Anwalt für Strafrecht: Körperverletzung

Ein Versuch ist fehlgeschlagen, wenn nach der Vorstellung des Täters die Tat nicht mehr ohne zeitliche Zäsur mit den bereits eingesetzten oder anderen bereitliegenden Mitteln vollendet werden kann.

Ob im vorliegenden Fall ein fehlgeschlagener Versuch vorliegt oder der Angeklagte von der Tat freiwillig zurückgetreten ist, hat der Bundesgerichtshof (3 StR 137/23) in seinem Beschluss vom 16. Mai 2023 entschieden. Nach den getroffenen Feststellungen versuchte der Angeklagte einen Laden zu verlassen, ohne für die Ware zu bezahlen. Als er vom Ladendetektiv angesprochen wurde, griff der Angeklagte diesen mit einem Messer an, um die Beute zu sichern und sich einer Festnahme zu entziehen. Der Geschädigte wich jedoch zurück und blieb daraufhin distanziert zum Angeklagten. Der Angeklagte konnte sodann mit der Beute fliehen. Das Landgericht Oldenburg nahm an, dass der Körperverletzungsversuch bereits beendet und fehlgeschlagen sei, jedenfalls der Rücktritt aber nicht freiwillig gewesen sei. Der Bundesgerichtshof führte in seinem Beschluss aber aus, dass der Versuch nicht fehlgeschlagen und unbeendet war, als der Geschädigte zurückwich, da der Angeklagte weiterhin auf ihn hätte einstechen können. Der Angeklagte gab den Versuch daraufhin freiwillig im Sinne des § 24 Abs. 1 StGB auf, um mit der Beute zu flüchten.

Anwalt für Strafrecht: Strafprozessrecht

Schweigen darf einem Angeklagten im Strafprozess nicht zur Last gelegt werden.

Mit der Thematik des Schweigens im Strafprozess hat sich der Bundesgerichtshof (5 StR 52/23) in seinem Urteil vom 27. April 2023 befasst. Die Geschädigte sprach den Angeklagten auf die 2,00 € an, die er ihr schulde. Daraufhin sprühte er ihr mit Pfefferspray ins Gesicht und schlug ihr mit der Metallschnalle eines Gürtels auf Kopf und Oberkörper. Nach über drei Monaten in Untersuchungshaft gab der Angeklagte an, dass er der Geschädigten kein Geld schulde, sie ihm vielmehr seinen Rucksack weggenommen habe. Das Landgericht Berlin sieht seine Aussagen jedoch als unglaubhaft an, da er diese, wenn sie der Wahrheit entsprechen würden, bereits zu einem früheren Zeitpunkt getätigt hätte. Daher verurteilte es den Angeklagten wegen versuchter besonders schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung. Der Bundesgerichtshof entgegnet dem jedoch, dass die Erwägung gegen den Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit verstößt. Der Zeitpunkt, zu dem der Angeklagte erstmals eine entlastende Einlassung vorbringt, kann dem Angeklagten demnach nicht zur  Last gelegt werden.

Anwalt für Strafrecht: Rotlichtverstoß

Zeigt eine Ampel wegen einer Funktionsstörung dauerhaft rot, ist die Verurteilung wegen eines Rotlichtverstoßes ausgeschlossen. Auch bei Ampeln mit Kontaktschleife, die von Radfahrenden nicht ausgelöst werden können, trifft dies zu.

Ob eine Verurteilung wegen eines Rotlichtverstoßes rechtmäßig ist, wenn die Ampelanlage dauerhaft rot zeigt, hat das Oberlandesgericht Hamburg (5 ORbs 25/23) in seinem Beschluss vom 11. September 2023 beantwortet. Der Betroffene hielt mit seinem Fahrrad an einer Kreuzung vor einer Ampel, die rot zeigte, da sie mit einer Kontaktschleife ausgestattet ist. Nach mehreren Minuten schaltete die Ampel immer noch nicht auf grün, sodass er die Kreuzung bei Rot überquerte. Das Amtsgericht Hamburg wertete den hiesigen Fall als vorsätzlichen, qualifizierten Rotlichtverstoß gemäß §§ 37 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 und 6, 49 Abs. 3 Nr. 2 StVO in Verbindung mit § 24 StVG. Das Oberlandesgericht Hamburg sieht darin jedoch keinen Rotlichtverstoß. Demnach ist auch bei Ampeln, die mit einer Kontaktschleife versehen sind und von Radfahrenden nicht ausgelöst werden können, die im Rotlicht liegende Halteanordnung für Radfahrende nichtig.

Anwalt für Strafrecht: Räuberische Erpressung

Ein Schraubendreher ist grundsätzlich ein gefährliches Werkzeug im Sinne des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB.

In seinem Beschluss vom 20. Juni 2023 hat sich der Bundesgerichtshof (5 StR 67/23) mit der Frage auseinandergesetzt, ob der Angeklagte im vorliegenden Fall ein gefährliches Werkzeug im Sinne des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB verwendet hat. Der Angeklagte betrat mit einem anderen einen Imbiss und forderte eine Putzkraft mit einem Schraubendreher in der Hand haltend dazu auf, ihm die Geldkassette zu geben. Das Landgericht Berlin verurteilte den Angeklagten wegen schwerer räuberischer Erpressung gem. § 253 Abs. 1, § 255, § 250 Abs. 1 Nr. 1b StGB in Tateinheit mit versuchtem Diebstahl. Eine Strafbarkeit nach § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB, bei der der Täter bei der Tat eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug verwendet haben muss, lehnt das Landgericht ab. Demnach habe es der Angeklagte weder verwendet, noch handele es sich überhabt um ein gefährliches Werkzeug im Sinne dieser Vorschrift. Der Bundesgerichtshof stellt in seinem Beschluss jedoch das Gegenteil fest. Dazu führt er aus, dass das „Verwenden“ im Sinne des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB jeden zweckgerichteten Gebrauch eines objektiv gefährlichen Tatmittels umfasst. Es genügt demnach, dass der Angeklagte seine verbale Drohung unterstrich, indem er den Schraubendreher dabei gut sichtbar in der Hand hielt und ihm bewusst war, dass der Zeuge dies wahrnahm. Außerdem stellt der Bundesgerichtshof klar, dass es sich bei einem Schraubendreher grundsätzlich um ein gefährliches Werkzeug im Sinne des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB handelt, da dieser nach seiner objektiven Beschaffenheit geeignet ist, einem Opfer erhebliche Körperverletzungen zuzufügen.