Urteile und Entscheidungen im Strafrecht

Auf dieser Seite finden Sie den vollständigen Text der Entscheidungen, die für die Strafrechtskanzlei Dietrich relevant sind.

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Anwalt für Strafrecht: Wohnungsdurchsuchung

Wurde eine Wohnung wegen Gefahr im Verzug durchsucht, bedarf deren erneute Durchsuchung einer neuen (richterlichen) Anordnung.

Durchsuchungen dürfen grundsätzlich nur durch den Richter angeordnet werden. Liegt Gefahr im Verzug vor, dürfen Durchsuchungen aber auch durch die Staatsanwaltschaft und ihre Ermittlungspersonen angeordnet werden, § 105 StPO. In seiner Entscheidung vom 4. Juni 2020 (4 StR 15/20) musste sich der Bundesgerichtshof mit der Frage auseinandersetzen, ob die erneute Durchsuchung einer Wohnung einer neuen richterlichen Anordnung bedarf, wenn die Wohnung zuvor bereits rechtmäßig wegen Gefahr im Verzug durchsucht worden war. In dem Fall hatten Polizisten den Angeklagten zuhause aufgesucht. Als dieser die Tür öffnete, war den Beamten intensiver Cannabisgeruch entgegengeschlagen, weshalb sie die Wohnung betraten. Dort trafen sie mehrere Behältnisse mit Cannabisblüten auf, woraufhin sie die Wohnung wieder verließen und Beamte der Kriminalpolizei verständigten. Der zuständige Staatsanwalt des Bereitschaftsdienstes ordnete dann um 20.26 Uhr die Durchsuchung aller den Angeklagten betreffenden Räumlichkeiten an, da nach seiner Ansicht der Verlust von Beweismitteln zu befürchten war und der richterliche Bereitschaftsdienst um 21.00 Uhr enden und der Ermittlungsrichter einen Durchsuchungsbeschluss nicht ohne Vorlage schriftlicher Unterlassen erlassen würde. Die spätere Verurteilung des Angeklagten stützte sich auf die bei der staatsanwaltlich angeordneten Durchsuchung aufgefundenen Beweismittel. Nach Ansicht des Bundesgerichtshofs kann diese Verurteilung jedoch nicht bestehen bleiben. Der Staatsanwalt habe durch die Anordnung der – zweiten – Durchsuchung der Wohnung des Angeklagten schwerwiegend gegen den Richtervorbehalt des Art. 13 Abs. 2 GG, § 105 Abs. 1 S. 1 StPO verstoßen, weshalb die bei dieser somit rechtswidrigen Durchsuchung aufgefundenen Beweismittel unverwertbar seien. Die erneute Durchsuchung hätte einer richterlichen Anordnung bedurft.

Anwalt für Strafrecht: Gefährlichkeitsprognose bei Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus

Die Gefährlichkeitsprognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstaten zu entwickeln. Sie muss sich auch darauf erstrecken, welche rechtswidrigen Taten von dem Beschuldigten drohen und wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist.

Gemäß § 63 StGB ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit oder der verminderten Schuldfähigkeit (§§ 20, 21 StGB) begangen hat und, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, dass von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. In seiner Entscheidung vom 26. Mai 2020 (1 StR 151/20) musste sich der Bundesgerichtshof näher mit den Voraussetzungen einer solchen Unterbringung auseinandersetzen. In dem Fall setzte die Beschuldigte die ihr wegen ihrer paranoiden Schizophrenie verschriebenen Medikamente ab, weshalb es zu einem Wiederaufleben ihrer Schizophrenie und zu verschiedenen strafrechtlich relevanten Vorfällen kam. So schlug die Beschuldigte zwei Personen sowie mehrfach mit den Fäusten auf Motorhaube und Windschutzschreibe eines Fahrzeugs. Seit den festgestellten Taten hat die Beschuldigte keine Straftaten mehr begangen. Dem Bundesgerichtshof zufolge ist eine Unterbringungsentscheidung rechtlich nicht gerechtfertigt. Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus sei eine außerordentlich belastende Maßnahme, die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt und daher nur angeordnet werden dürfe, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades besteht, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen. Dies sei vorliegend nicht ausreichend erörtert worden. Insbesondere der Umstand, dass die Beschuldigte trotz bestehenden Defekts über einen längeren Zeitraum hinweg keine erheblichen Straftaten begangen hat, sei ein gewichtiges Indiz gegen die Wahrscheinlichkeit künftiger solcher Straftaten.

Anwalt für Strafrecht: Unterstützung einer terroristischen Vereinigung

Die Teilnahme an Treffen einer terroristischen Vereinigung und die Zusage, Geld und Waffen für Anschläge zu beschaffen, stellt sich als eine Unterstützungshandlung i.S.d. § 129a Abs. 5 StGB dar.

Wer eine Vereinigung unterstützt, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet sind, Mord, Totschlag, Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen oder Straftaten gegen die persönliche Freiheit zu begehen, macht sich gemäß § 129a Abs. 5 StGB strafbar und wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft. In seiner Entscheidung vom 23. Juni 2020 (StB 17/20) musste sich der Bundesgerichtshof mit etwaigen Unterstützungshandlungen auseinandersetzen. In dem Fall soll der Mitbeschuldigte eine rechtsextremistisch ausgerichtete Vereinigung gegründet haben, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet ist, Mord und Totschlag an Politikern, Asylsuchenden und Personen muslimischen Glaubens zu begehen. Der Beschuldigte soll diese Vereinigung unter anderem durch seine Teilnahme an Treffen und die Zusage, Geld und Waffen für Anschläge zu beschaffen, unterstützt haben. Bei einer Wohnungsdurchsuchung waren bei dem Beschuldigten neben einer Einzelladerwaffe mit Munition auch ein Bargeldbetrag von 1.050 € aufgefunden und sichergestellt worden. Gegen die Beschlagnahme des Bargelds richtete sich die Beschwerde des Beschuldigten. Nach Ansicht des Bundesgerichtshofs sei das Bargeld zu Recht beschlagnahmt worden, da der Beschuldigte der ihm zur Last gelegten Tat dringend verdächtig sei. Die Ermittlungen haben ergeben, dass der Beschuldigte, der bei einem Gruppentreffen die Besorgung von Waffen und das Beisteuern eines namhaften Geldbetrags hierfür zugesagt hatte, bei seinem Waffenlieferanten bereits eine sog. Kalaschnikow AK 47 mit passender Munition bestellt hatte. Das Verhalten des Beschuldigten stelle sich nach dem derzeitigen Ermittlungsstand jedenfalls als Unterstützung einer terroristischen Vereinigung gemäß § 129a Abs. 5 StGB dar.

Anwalt für Strafrecht: Gemeinschädliche Sachbeschädigung

Gemeinschädlich ist eine Sachbeschädigung nur dann, wenn diese die dem öffentlichen Nutzen dienende Funktion des beschädigten Gegenstandes beeinträchtigt.

Wegen gemeinschädlicher Sachbeschädigung macht sich ein Beschuldigter strafbar, welcher rechtswidrig das Erscheinungsbild von Gegenständen, welche zum öffentlichen Nutzen oder zur Verschönerung öffentlicher Wege, Plätze oder Anlagen dienen, beschädigt oder zerstört. Der Bundesgerichtshof befasste sich in seinem Urteil vom 6. Juni 2001 (2 StR 136/01) mit der Frage, welche Anforderungen an die Änderung des Erscheinungsbilds eines entsprechenden Gegenstandes zu stellen sind. Der Beschuldigte in dem, dem Urteil des BGHs zugrunde liegenden Sachverhalt, beschmierte eine öffentliche Unterführung mittels eines nicht abwaschbaren Filzstiftes mit der Aufschrift „B benutzt Nazimethoden gegen erwerbsunfähige Sozialhilfeempfänger !!!“. Das Landgericht verurteilte den Beschuldigten im Zuge dessen wegen gemeinschädlicher Sachbeschädigung. Dem schloss sich der BGH nicht an und führte aus, das Verhalten des Beschuldigten erfülle nicht den Tatbestand der gemeinschädlichen Sachbeschädigung, da die Beschädigung der Unterführung durch den Schriftzug deren dem öffentlichen Nutzen dienende Funktion nicht beeinträchtigte.

Anwalt für Strafrecht: Einbruchdiebstahl

Für das unmittelbare Ansetzen zur geplanten Wegnahme beim Versuchsbeginn eines Einbruchdiebstahls ist es nicht erforderlich, dass der angegriffene Schutzmechanismus auch erfolgreich überwunden wird.

Eine Tat ist versucht, wenn der Täter nach seiner Vorstellung unmittelbar zur Tat ansetzt (§ 22 StGB). In seiner Entscheidung vom 28. April 2020 (5 StR 15/20) setzte sich der Bundesgerichtshof mit der Frage auseinander, wann ein Täter bei einem Einbruchdiebstahl unmittelbar zur Tat ansetzt. Der Angeklagte wollte vorliegend einen Zigarettenautomaten aufbrechen, um Zigaretten und Bargeld zu entwenden. Hierfür legte er am Automaten verschiedenes Einbruchswerkzeug ab und verhüllte den Automaten, um die Geräusche seines Tuns zu dämpfen. Da er davon ausging, in unmittelbarer Nähe einen Stromanschluss zu finden, legte er mit der mitgebrachten Kabeltrommel über die Straße eine Stromleitung. Jedoch konnte er nirgends eine Steckdose finden und erkannte, dass er den Zigarettenautomaten nicht würde öffnen können. Zwar hatte er von vornherein auch alternative Aufbruchsmöglichkeiten in Erwägung gezogen, dazu kam er aber nicht mehr, da er sich – zutreffend – entdeckt wähnte und vom Tatort flüchtete. Der Bundesgerichtshof führte in seiner Entscheidung aus, dass bei Diebstahlsdelikten bezüglich des unmittelbaren Ansetzens darauf abzustellen sei, ob aus Tätersicht bereits die konkrete Gefahr eines ungehinderten Zugriffs auf das in Aussicht genommene Stehlgut besteht. Ist der Gewahrsam durch Schutzmechanismen gesichert, reiche für den Versuchsbeginn der erste Angriff auf einen solchen Schutzmechanismus regelmäßig aus, wenn sich der Täter bei dessen Überwindung nach dem Tatplan ohne tatbestandsfremde Zwischenschritte, zeitliche Zäsur oder weitere eigenständige Willensbildung einen ungehinderten Zugriff auf die erwartete Beute vorstellt. Nicht erforderlich sei hingegen, dass der angegriffene Schutzmechanismus auch erfolgreich überwunden wird. Die Verhüllung des Automaten stelle hier den ersten Schritt hin zu dessen Aufbruch dar. Nach der Vorstellung des Angeklagten sollte der Einsatz der Werkzeuge zudem unmittelbar folgen, weshalb die Zigaretten und das Bargeld, die durch den Zigarettenautomaten vor Wegnahme besonders geschützt waren, damit bereits konkret gefährdet waren. Der Angeklagte habe vorliegend daher unmittelbar zur Verwirklichung des Diebstahls angesetzt

Anwalt für Strafrecht: Notwendige Verteidigung

Ein Fall der notwendigen Verteidigung liegt auch bei geringfügigen Vorwürfen vor, wenn wegen weiterer bei anderen Gerichten anhängiger Verfahren mit weit gewichtigeren Vorwürfen eine Gesamtstrafenbildung in Betracht kommt.

Im Strafrecht gibt es keine Prozesskostenhilfe, sondern nur das Institut der notwendigen Verteidigung. Gemäß § 140 Abs. 2 StPO liegt ein Fall der notwendigen Verteidigung dann vor, wenn wegen der Schwere der Tat, der Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge oder wegen der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint oder wenn ersichtlich ist, dass sich der Beschuldigte nicht selbst verteidigen kann. Die Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge wird dann angenommen, wenn eine Straferwartung von einem Jahr Freiheitsstrafe gegeben ist. Das Landgericht Magdeburg musste sich in dem Beschluss vom 30. April 2020 (25 Qs 802 Js 70719/20) damit auseinandersetzen, ob ein Fall der notwendigen Verteidigung auch bei geringfügigen Vorwürfen vorliegen kann. Vorliegend war gegen den Angeklagten vor dem Amtsgericht Halberstadt wegen eines Verstoßes gegen das Waffengesetz Anklage erhoben worden. Der Antrag des Angeklagten auf einen Pflichtverteidiger wurde abgelehnt, da die Voraussetzungen einer notwendigen Verteidigung nicht gegeben sein sollen. Zeitgleich war gegen den Angeklagten aber auch bei dem Amtsgericht Gardelegen ein Verfahren wegen Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion und Diebstahl anhängig, bei dem die Voraussetzungen der Pflichtverteidigung gegeben sind. Nach Ansicht des Landgerichts Magdeburg können die beiden Verfahren nicht isoliert betrachtet werden, da für beide Verfahren eine Gesamtstrafenfähigkeit vorliege. Bei Bildung der Gesamtstrafe würde die Strafe jedenfalls in den Bereich der Schwere der zu erwartenden Rechtsfolgen im Sinne von § 140 Abs. 2 StPO gelangen, weshalb die Voraussetzungen der notwendigen Verteidigung erfüllt seien und dem Angeklagten für beide Verfahren daher ein Pflichtverteidiger beizuordnen sei.

Anwalt für Strafrecht: Heimtückische Tötung eines Kleinkindes

In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist anerkannt, dass es bei der Tötung eines wenige Wochen oder Monate alten Kleinkindes für die Frage der Heimtücke nicht auf dessen Arg- und Wehrlosigkeit ankommt, da es aufgrund seines Alters noch zu keinerlei Argwohn oder Gegenwehr fähig ist, sondern auf die Arg- und Wehrlosigkeit eines im Hinblick auf das Kind schutzbereiten Dritten. Schutzbereiter Dritter ist jede Person, die den Schutz eines Kleinkindes vor Leib- und Lebensgefahr dauernd oder vorübergehend übernommen hat und diesen im Augenblick der Tat entweder tatsächlich ausübt oder dies deshalb nicht tut, weil sie dem Täter vertraut oder vom Täter ausgeschaltet wurde. Dafür ist es zwar nicht erforderlich, dass der potentiell schutzbereite Dritte "zugegen" ist, er muss den Schutz allerdings wirksam erbringen können, wofür eine gewisse räumliche Nähe notwendig ist.

Der Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 05.08.2014 – 1 StR 340/14 beruht auf folgendem Sachverhalt: Die Angeklagte tötete ihre 6 Monate alte Tochter, während der Vater des Kindes aus freien Stücken die Wohnung verließ, um zu einem Arzt zu gehen. Der Arzt war ca. 2 km von der Wohnung entfernt.

Für die Bejahung des Heimtückemerkmals ist es erforderlich, dass der Täter eine zur Tatzeit beim Opfer bestehende Arg- und Wehrlosigkeit bewusst zur Tat ausnutzt. Arglos ist, wer sich zum Zeitpunkt der Tat keines Angriffs versieht und wehrlos ist derjenige, dessen Verteidigungsfähigkeit aufgehoben oder erheblich eingeschränkt ist. Die Wehrlosigkeit muss Folge der Arglosigkeit sein. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass es im Rahmen der Heimtücke bei der Tötung eines wenige Monate alten Kleinkindes nicht auf dessen Arg- und Wehrlosigkeit ankommt, sondern auf die eines im Hinblick auf das Kind schutzbereiten Dritten. Schutzbereiter Dritter ist jede Person, die den Schutz eines Kleinkindes vor Leib- und Lebensgefahr dauernd oder vorübergehend übernommen hat und diesen im Augenblick der Tat entweder tatsächlich ausübt oder dies deshalb nicht tut, weil sie dem Täter vertraut oder vom Täter ausgeschaltet wurde. Die Schutzperson muss zwar nicht „zugegen“ sein, jedoch ist eine gewisse räumliche Nähe zum Tatopfer erforderlich.

Die Schwurgerichtskammer des LG Ravensburg hat die Merkmale bezüglich des schutzbereiten Dritten als erfüllt angesehen und das Merkmal der Heimtücke bejaht. Der Vater sei zur Abwehr von Gefahren gegenüber dem Kleinkind bereit gewesen und habe die Versorgung und den Schutz des Kindes im Vertrauen auf die Angeklagte nur für kurze Zeit an sie abgegeben. Während seiner Abwesenheit hatte er sich keines Angriffs gegen sein Kind versehen und diese Situation habe die Angeklagte bewusst ausgenutzt.

Die Revision der Angeklagten hatte Erfolg. Der BGH lehnt das Merkmal der Heimtücke ab. Es fehle an der erforderlichen räumlichen Nähe zwischen Schutzperson und Tatopfer, da der Vater den räumlichen Bereich des Kleinkindes für eine erhebliche Dauer und in einer erheblichen Entfernung verließ, sodass eine Einwirkungsmöglichkeit auf das Geschehen für ihn nicht mehr möglich war. Er könne somit nicht als schutzbereiter Dritter angesehen werden, solange er sich nicht auf Veranlassung der Angeklagten entfernte.

Anwalt für Strafrecht: Gefährliche Körperverletzung

Dass das „Abschütteln“ des Opfers von der Motorhaube eines fahrenden PKWs eine abstrakt lebensgefährliche Behandlung darstellt, versteht sich ohne die Feststellung der gefahrenen Geschwindigkeit nicht von selbst.

Wegen gefährlicher Körperverletzung wird zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren verurteilt, wer eine Körperverletzung mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung begeht, § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB. Hierfür ist nicht notwendig, dass der Geschädigte tatsächlich in Lebensgefahr gerät, sondern, dass die jeweilige Einwirkung nach den Umständen generell dazu geeignet ist, das Leben des Geschädigten zu gefährden. Der Bundesgerichtshof musste sich in seiner Entscheidung vom 24. März 2020 (4 StR 646/19) mit den Voraussetzungen einer das Leben gefährdenden Behandlung beim „Abschütteln“ einer Person von der Motorhaube beschäftigen. Vorliegend wollte der Angeklagte dem Geschädigten einen „Denkzettel verpassen“. Hierfür näherte er sich mit seinem Auto mit höherem Tempo „als die Laufgeschwindigkeit“ dem Geschädigten, um ihn zu Fall zu bringen. Als der Geschädigte den Angeklagten bemerkte, sprang er hoch und fiel auf die Motorhaube des Pkw, woraufhin der Angeklagte Gas gab, um den Geschädigten abzuschütteln. Hierbei nahm er Verletzungen des Geschädigten zumindest billigend in Kauf. Der Geschädigte stürzte auf den Gehweg, wo er in der unmittelbaren Nähe des Fahrzeugs, das der Angeklagte zum Stillstand abgebremst hatte, zum Liegen kam. Er erlitt eine Vielzahl von Schürfwunden. Nach Ansicht des Bundesgerichtshofs versteht sich das Vorliegen einer abstrakt lebensgefährlichen Behandlung nicht von selbst, da keine Feststellungen zu der gefahrenen Geschwindigkeit des Angeklagten getroffen wurden. Die Tatsache, dass der Angeklagte das Fahrzeug nach dem Abwurf des Geschädigten sogleich zum Stillstand abbremsen konnte, könnte insofern aber dafür sprechen, dass die Anfahr- und Abwurfgeschwindigkeit gering war, was wiederrum eher gegen eine abstrakt lebensgefährliche Behandlung sprechen würde. 

Anwalt für Strafrecht: Vorsatz bei unerheblicher Abweichung vom Kausalverlauf

Ein vollendeter Mord oder Totschlag kann auch dann vorliegen, wenn der Täter das Opfer mit bedingtem Tötungsvorsatz angreift, später die vermeintliche Leiche beseitigt und erst dadurch den Tod verursacht, ohne dabei noch an diese Möglichkeit zu denken.

Dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 26.04.1960 – 5 StR 77/60 lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die Angeklagte stopfte dem Opfer zwei Hände voll Sand in den Mund, um es am Schreien zu hindern. Dabei handelte sie mit bedingtem Tötungsvorsatz. Das Opfer verlor daraufhin das Bewusstsein, die Angeklagte ging jedoch davon aus, das Opfer getötet zu haben. Zur Beseitigung der vermeintlichen Leiche warf die Angeklagte das Opfer in eine Jauchegrube. Im Nachhinein stellte sich heraus, dass das Opfer nicht zuvor erstickt, sondern erst in der Grube ertrunken ist.

Daraus ergibt sich folgendes Problem: Das Tun des Täters besteht aus mehreren Handlungsabschnitten. Der Täter geht aufgrund eines Irrtums davon aus, dass der Erfolg bereits nach dem ersten Abschnitt eingetreten ist, tatsächlich ist er aber erst nach dem zweiten Abschnitt eingetreten. Es stellt sich die Frage, ob in solchen Konstellationen noch von einer vorsätzlichen Tötung ausgegangen werden kann.

Der BGH bejaht dies. Dabei lehnt er jedoch, anders als das Schwurgericht Oldenburg, einen bei der Angeklagten während der gesamten Tat vorliegenden Generaldolus ab. Nähme man solch einen Vorsatz an, würde man behaupten, die Angeklagte handelte auch noch während des zweiten Handlungsabschnitts, wo sie bereits vom Tod des Opfers überzeugt war, mit bedingtem Tötungsvorsatz. Davon kann jedoch nicht ausgegangen werden, da der Vorsatz der Angeklagten aufgrund jener Überzeugung während der zweiten Handlung bereits erledigt war.

Stattdessen begründet der BGH die vollendete Tötung damit, dass die Angeklagte bei der ersten Handlung mit bedingtem Tötungsvorsatz handelte und dadurch den Tod des Opfers zumindest mittelbar verursachte. Denn aufgrund dessen Bewusstseinsverlusts hielt die Angeklagte das Opfer für tot und warf es in die Grube. Zu diesem Vorgang, der den Tod unmittelbar bewirkte, wäre es ohne die frühere Handlung nicht gekommen, weshalb sie als erfolgsursächlich angesehen werden muss. Die Angeklagte hat den Erfolg somit mit bedingtem Tötungsvorsatz herbeigeführt, auch wenn er auf eine andere Weise eingetreten ist, als sie es für möglich gehalten hatte. Diese Abweichung vom vorgestellten Ursachenablauf ist aber nur gering und rechtlich ohne Bedeutung.

Anwalt für Strafrecht: Mord - Habgier

Habgierig handelt ein Beschuldigter, welcher die Tötung allein auf eine langfristige Versorgung durch eine staatliche Einrichtung ausrichtet. Dies ist unter anderem dann der Fall, wenn der Beschuldigte mit der Tötung eine Inhaftierung und die damit einhergehenden staatlichen Leistungen erlangen möchte.

Wegen Mordes macht sich ein Beschuldigter strafbar, welcher aus Habgier einen anderen Menschen tötet. Habgier bedeutet ein Streben nach materiellen Gütern oder Vorteilen, das in seiner Hemmungslosigkeit und Rücksichtslosigkeit das erträgliche Maß weit übersteigt und das in der Regel durch eine ungehemmte triebhafte Eigensucht bestimmt ist. Voraussetzung hierfür ist, dass sich das Vermögen des Beschuldigten objektiv oder zumindest nach seiner Vorstellung durch den Tod des Betroffenen unmittelbar vermehrt oder dass durch die Tat jedenfalls eine sonst nicht vorhandene Aussicht auf eine Vermögensvermehrung entsteht. In seinem Beschluss vom 19. Mai 2020 (4 StR 140/20) hatte sich der Bundesgerichtshof mit der Frage zu befassen, ob ein Beschuldigter habgierig handelt, welcher mit der Tötung eine Inhaftierung und die mit dieser verbundenen staatlichen Leistungen anstrebt. Der Beschuldigte fuhr mit bedingtem Tötungsvorsatz von hinten mit einem Auto auf den Betroffenen auf. Der vermögenslose und nicht krankenversicherte Beschuldigte beabsichtigte eine schwere Straftat zu begehen, um langfristig Unterkunft, Verpflegung und Krankenversorgung in einer Justizvollzugsanstalt zu erhalten. Nach Auffassung des BGHs handelte der Beschuldigte im Zuge dessen habgierig. Habgierig handelt ein Beschuldigter, welcher die Tötung allein auf eine langfristige Versorgung durch eine staatliche Einrichtung und damit auf eine Verbesserung seiner Vermögenslage im Sinne eines rücksichtslosen Gewinnstrebens ausrichtet. Für die Annahme einer Tötung aus Habgier ist unerheblich, dass der erstrebte Vermögensvorteil nicht unmittelbar aus dem Vermögen des Betroffenen stammen sollte. Ebenso steht einem Mordversuch aus Habgier nicht entgegen, dass der Beschuldigte eine staatliche Versorgung auch auf legale Weise durch Beantragung von Sozialleistungen hätte erreichen können.