Urteile und Entscheidungen im Strafrecht

Auf dieser Seite finden Sie den vollständigen Text der Entscheidungen, die für die Strafrechtskanzlei Dietrich relevant sind.

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Anwalt für Strafrecht: Rücktritt vom Versuch

An der für den Rücktritt vom Versuch notwendigen Freiwilligkeit kann es fehlen, wenn der Täter aufgrund willensunabhängiger Tatumstände, beispielsweise wegen seelischen Drucks oder infolge eines Schocks, an der weiteren Tatbegehung gehindert ist.

Mit Urteil vom 28.05.2015 - 3 StR 89/15 hat der BGH über einen recht kuriosen Fall der versuchten besonders schweren räuberischen Erpressung entschieden. Nach den Feststellungen des Landgerichts Düsseldorf wollte der Angeklagte ein Juweliergeschäft überfallen. Um die Herausgabe des Schmuckes zu erzwingen, hatte er sich mit einem Elektroschocker bewaffnet. Da der Angeklagte jedoch ungeübt im Umgang mit dem Elektroschocker war, versetzte er sich bei dessen Einsatz zunächst selbst einen Stromschlag und gab anschließend mehrere unkontrollierte Stromstöße auf die Verkäuferin ab. Als diese daraufhin in Panik geriet und laut schrie, verlor der Angeklagte endgültig die Kontrolle über sein Handeln und wollte nur noch fliehen. Die Beute ließ er zurück.
Der BGH hat hier einen strafbefreienden freiwilligen Rücktritt vom Versuch gem. § 24 StGB abgelehnt. Auch wenn äußere Umstände der Tatvollendung nicht entgegenstanden, habe der Angeklagte die weitere Tatausführung trotzdem nicht freiwillig aus sich heraus aufgegeben. Denn aufgrund des erlittenen Schocks und infolge der sich auch bei ihm ausbreitenden Panik sei er unmittelbar vor dem Abbruch der Tat nicht mehr Herr seiner Sinne gewesen, sodass er überhaupt keinen klaren Gedanken mehr über die Ausführung seines Tatplans fassen konnte. Vielmehr hätten ihn die genannten willensunabhängigen Tatumstände (Schock, Panik) zur Aufgabe der weiteren Tatausführung gezwungen. Ein strafbefreiender freiwilliger Rücktritt vom Versuch liege damit nicht vor.

Anwalt für Strafrecht: Hinweispflicht des Gerichts

Will das Gericht abweichend von der Anklage eine Verurteilung wegen Beihilfe anstelle von Mittäterschaft aussprechen, so muss es vorher einen rechtlichen Hinweis bezüglich dieser Veränderung erteilen.

Die Anklage im Strafprozess dient dazu, die Tat einzugrenzen und die einschlägigen Strafgesetze festzulegen. Will das Gericht aber im laufenden Strafverfahren von der Anklage abweichen und eine Verurteilung wegen eines anderen Strafgesetzes aussprechen, so muss es den Angeklagten gemäß § 265 Abs. 1 StPO darauf hinweisen und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme geben.
Dies gilt nicht nur in Bezug auf den Straftatbestand, sondern auch für die maßgebliche Beteiligungsform, wie der Bundesgerichtshof (BGH) in seinem Beschluss vom 02.09.2015 - 2 StR 49/15 betonte.
Der BGH hob damit die Verurteilung des Angeklagten durch das Landgericht Darmstadt auf. Dieses hatte den Angeklagten ohne die Erteilung eines entsprechenden Hinweises wegen Beihilfe zum Betrug zu einer Freiheitsstrafe verurteilt, obwohl die Anklage von einem Betrug in Mittäterschaft ausgegangen war. Auf diese Änderung des rechtlichen Gesichtspunktes hätte jedoch hingewiesen werden müssen. Da der BGH nicht ausschließen konnte, dass das Urteil bei einem entsprechenden Hinweis zu einem für den Angeklagten günstigeren Urteil geführt hätte, wurde das Urteil aufgehoben.

Anwalt für Strafrecht: gefährliche Körperverletzung

Entsteht der Körperverletzungserfolg bei einem Schuss auf das im Auto sitzende Opfer erst durch das Zersplittern der Scheibe und damit nicht durch eine unmittelbare Folge des Schusses, so liegt keine gefährliche Körperverletzung "mittels" der eingesetzten Waffe vor.

In seinem Beschluss vom 16.07.2015 - 4 StR 117/15 hat der Bundesgerichtshof erneut über die Auslegung des Wortes "mittels" einer Waffe im Rahmen der gefährlichen Körperverletzung entschieden. Eine gefährliche Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB liegt vor, wenn der Körperverletzungserfolg mittels einer Waffe oder eines gefährlichen Werkzeugs verursacht wird. Zwischen dem Einsatz der Waffe und der Verletzung des Opfers muss demnach ein unmittelbarer Zusammenhang bestehen. Ein solcher besteht nach ständiger Rechtsprechung nur, wenn dem Opfer durch ein von außen unmittelbar auf den Körper einwirkendes Tatmittel eine Körperverletzung beigebracht wird. Ist die Verletzung keine direkte Folge des Einsatzes der Waffe, so besteht der unmittelbare Zusammenhang nicht.
So liegt nach der aktuellen Entscheidung des BGH keine gefährliche Körperverletzung mittels einer Waffe vor, wenn auf eine im Auto sitzende Person geschossen und diese erst durch das Zersplittern der Scheibe verletzt wird. In diesem Fall ist die Körperverletzung nicht durch den Schuss, sondern durch das Zersplittern der Scheibe eingetreten.

Anwalt für Strafrecht: schwerer Raub

Ein schwerer Raub mit Waffen liegt bei der Verwendung einer Schreckschusspistole nur dann vor, wenn aus der Waffe beim Abfeuern ein Explosionsdruck nach vorne aus dem Lauf austritt. Dies ist zwar üblich, darf aber nicht als selbstverständlich vorausgesetzt werden.

In seinem Beschluss vom 16.07.2015 - 2 StR 12/15 hat der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden, dass bei der Verwendung einer Schreckschusspistole beim Raub bzw. bei der räuberischen Erpressung nicht automatisch ein schwerer Raub mit Waffen gem. § 250 StGB gegeben ist. Vielmehr fällt eine geladene Schreckschusspistole nur dann unter den Waffenbegriff, wenn feststeht, dass beim Abfeuern der Waffe der Explosionsdruck nach vorne aus dem Lauf austritt und die Waffe deshalb nach ihrer Beschaffenheit geeignet ist, erhebliche Verletzungen hervorzurufen. Dies ist zwar bei Schreckschusspistolen üblich, darf aber nicht als selbstverständlich vorausgesetzt werden. Der Tatrichter muss demnach konkrete Feststellungen dazu treffen, inwiefern beim Abfeuern der Waffe Explosionsdruck nach vorne austritt.
Damit hob der BGH die Verurteilung des Angeklagten wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung auf. Der Angeklagte hatte gemeinsam mit anderen Beteiligten eine Spielhalle überfallen. Bei dem Überfall wurde die Angestellte unter Vorhalt der Schreckschusspistole des Angeklagten zur Herausgabe von Bargeld veranlasst.

Anwalt für Strafrecht: gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr

Wer auf ein Polizeiauto zufährt, um dieses zurückzudrängen und dadurch seine Flucht zu ermöglichen, macht sich nicht zwingend wegen eines gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr strafbar.

In seinem Beschluss vom 30.06.2015 - 4 StR 188/15 hat der Bundesgerichtshof (BGH) erneut deutlich gemacht, dass für eine Verurteilung wegen eines gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr genaue Feststellungen zu einer konkreten Gefährdung des Straßenverkehr getroffen werden müssen. Denn nach § 315b StGB muss es bei einem Eingriff in den Straßenverkehr zu einer konkreten Gefährdung von Leib oder Leben eines anderen Menschen oder einer Sache von bedeutendem Wert kommen. Bei diesem sogenannten "Beinahe-Unfall" muss eine Situation verursacht werden, in der die Sicherheit einer bestimmten Person oder Sache so stark beeinträchtigt wird, dass es nur noch vom Zufall abhängt, ob das Rechtsgut verletzt wird oder nicht. Diese Situation konnte das Landgericht Traunstein im zu verhandelnden Fall jedoch nicht hinreichend belegen, sodass die Verurteilung des Angeklagten wegen eines gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr vom BGH aufgehoben werden musste.
Der Angeklagte war mit ca. 100 bis 120 km/h ungebremst auf eine Polizeistreife zugefahren, um die Beamten zur Freigabe der Fahrspur zu zwingen und so seine Flucht zu ermöglichen. Als der Angeklagte weniger als 50 Meter von ihnen entfernt war, setzten die Beamten das Polizeiauto zurück, da selbst bei einer Vollbremsung eine Kollision nicht mehr zu verhindern gewesen wäre. Nach Ansicht des BGH belegen diese Feststellungen allein die konkrete Gefährdung der Beamten jedoch nicht.

Anwalt für Strafrecht: Strafbefehl

Ein Strafbefehl muss dem Beschuldigten mit einer Übersetzung zugestellt werden, wenn der Beschuldigte der deutschen Sprache nicht mächtig ist. Andernfalls liegt keine wirksame Zustellung vor, die Einspruchsfrist beginnt nicht zu laufen.

Das Landgericht (LG) Gießen hat in seinem Beschluss vom 29.04.2015 - 7 Qs 48/15 entschieden, dass bei der Zustellung eines Strafbefehls auch eine Übersetzung zugestellt werden muss, wenn der Angeklagte der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtig ist. Denn gemäß § 37 Abs. 3 StPO ist dem Prozessbeteiligten das Urteil zusammen mit der Übersetzung zuzustellen, wenn ihm nach § 187 Abs. 1 und 2 GVG ein Dolmetscher zusteht. Die Regelung gilt aber entgegen ihrem Wortlaut nicht nur für Urteile, sondern ist entsprechend auf den Strafbefehl anzuwenden. Wer also der deutschen Sprache nicht mächtig ist, dem muss bei der Zustellung des Strafbefehls eine Übersetzung zugestellt werden. Ist dies nicht geschehen, so ist der Strafbefehl nicht wirksam zugestellt worden. Die Rechtsmittelfrist beginnt in diesem Fall nicht zu laufen.

Anwalt für Strafrecht: Schwarzfahren

Die Strafbarkeit wegen Erschleichen von Leistungen gem. § 265a StGB entfällt nicht dadurch, dass man eine Mütze mit der deutlich lesbaren Aufschrift "Ich fahre schwarz" trägt.

Das Oberlandesgericht (OLG) Köln hat mit Beschluss vom 28.09.2015 (III-1 RVs 118/15) klargestellt, dass man sich auch dann wegen Erschleichen von Leistungen gem. § 265a StGB (hier: Schwarzfahren) strafbar macht, wenn man eine Mütze trägt, auf der deutlich der Schriftzug "Ich fahre schwarz" zu erkennen ist. Der Angeklagte hatte einen abfahrbereiten Zug der Deutschen Bahn ohne gültigen Fahrschein bestiegen und sich einen Sitzplatz gesucht. Erst bei der routinemäßigen Fahrscheinkontrolle im Zug ist dann ein Bahnmitarbeiter auf den Angeklagten und dessen Schriftzug an der Mütze aufmerksam geworden. Aufgrund der Tatsache, dass der Angeklagte seine Absicht, das Fahrtgeld nicht zu entrichten, nicht schon vor Abfahrt des Zuges gegenüber dem Bahnpersonal deutlich bekundet habe, erfülle sein Verhalten nach Ansicht des OLG Köln ungeachtet der Aufschrift an der Mütze den Tatbestand der Beförderungserschleichung. Unbeachtlich sei dabei auch, dass andere Fahrgäste den Schriftzug vor der Fahrt wahrgenommen hätten. Denn es bestand die Möglichkeit, noch einen Fahrschein im Zug zu erwerben, sodass das Einsteigen des Angeklagten in den Zug zunächst auch regelkonform erschien. Außerdem sei es nicht die Aufgabe anderer Fahrgäste, dafür zu sorgen, dass Mitreisende ein gültiges Ticket haben.

Anwalt für Strafrecht: Unfallflucht

Voraussetzung für eine Verurteilung wegen vorsätzlichen unerlaubten Entfernens vom Unfallort gem. § 142 StGB ist unter anderem die Überzeugung des Tatrichters, der Unfallverursacher habe die Entstehung des Unfalles mit nicht nur unerheblichem Sachschaden auch tatsächlich bemerkt.

In seinem Beschluss vom 08.07.2015 (3) 121 Ss 69/15 (47/15) hat das Kammergericht die Voraussetzungen für eine Verurteilung wegen Unfallflucht gem. § 142 StGB klargestellt. Das Amtsgericht Tiergarten hatte die Angeklagte wegen vorsätzlichen unerlaubten Entfernens vom Unfallort (Unfallflucht) verurteilt. Nach den Feststellungen des AG war es zu einem Zusammenstoß zweier Fahrzeuge gekommen, wobei an den Fahrzeugen auf den ersten Blick nur Farbaufrieb erkennbar war. Daran anknüpfend bewertete das Kammergericht die Feststellungen des AG zur inneren Tatseite der Angeklagten als unzureichend. Das Urteil belege nicht hinreichend, dass die Angeklagte nicht nur den Zusammenstoß selbst, sondern auch die Entstehung eines nicht nur unerheblichen Schadens bemerkt habe. Dies ist jedoch Voraussetzung für eine Verurteilung wegen vorsätzlichen unerlaubten Entfernens vom Unfallort. Es reiche nach Auffassung des Kammergerichts nicht aus, dass sich aufgrund der festgestellten objektiven Umstände einem durchschnittlichen Kraftfahrer die Vermutung aufdrängen müsse, es sei zu einem Unfall mit nicht nur unerheblichem Sachschaden gekommen. Auch die Feststellung, die Angeklagte hätte die Entstehung eines nicht unerheblichen Schadens bemerken können und müssen reiche für eine Begründung vorsätzlicher Unfallflucht nicht aus. Im Falle einer Verurteilung gem. § 142 StGB müsse der Tatrichter nachvollziehbar darlegen, warum er davon überzeugt ist, der Unfallverursacher habe im konkreten Fall auch den nicht unerheblichen Schaden bemerkt.

Anwalt für Strafrecht: Besorgnis der Befangenheit

Beschäftigt sich der Richter während der laufenden Hauptverhandlung über einen Zeitraum von 10 Minuten aus privaten Gründen mit seinem Handy, so kann er wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden.

In seinem Urteil vom 17.06.2105 - 2 StR 228/14 hat der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden, dass die private Nutzung eines Mobiltelefons durch einen Richter durchaus einen Antrag wegen Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen kann.
In dem zu verhandelnden Fall hatte die beisitzende Richterin über einen Zeitraum von etwa zehn Minuten mehrfach ihr Mobiltelefon bedient und SMS verschickt. Damit stellte sie nach Ansicht des BGH ihre privaten Belange über ihre dienstliche Pflicht. Dies führte dazu, dass bei den Angeklagten der Eindruck erweckt wurde, die Richterin habe sich mangels uneingeschränkten Interesses an der Beweisaufnahme bereits zur Tat- und Schuldfrage der Angeklagten festgelegt. Eine solche Besorgnis der Befangenheit stellt einen absoluten Revisionsgrund nach § 338 Nr. 3 StPO dar und führte im konkreten Fall zur Aufhebung des Urteils.

Anwalt für Strafrecht: Strafzumessung

Die lang andauernde Untersuchungshaft eines Angeklagten kann, wenn dieser zuvor noch nie inhaftiert war, unter dem Kriterium der besonderen Haftempfindlichkeit als Strafmilderungsgrund in Betracht gezogen werden.

In seinem Urteil vom 24.03.2015 - 5 StR 6/15 hat der Bundesgerichtshof (BGH) bestätigt, dass die Haftempfindlichkeit eines Angeklagten, im Gegensatz zum Vollzug der Untersuchungshaft an sich, durchaus als Strafmilderungsgrund in Betracht gezogen werden kann.
Das Landgericht Berlin hatte zuvor einen minder schweren Fall des Totschlags angenommen und im Rahmen der Gesamtwürdigung die lang andauernde Untersuchungshaft von sechs Monaten als Belastungsgrund für den bisher unbestraften Angeklagten gewertet. Dies sah der BGH in seinem Urteil als rechtsfehlerfrei an, da das Landgericht den Gesichtspunkt der längeren Untersuchungshaft ausdrücklich in Bezug zu der bisherigen Unbestraftheit des Angeklagten gesetzt hatte. Damit habe das Landgericht eine besondere Haftempfindlichkeit des zuvor noch nie inhaftierten Angeklagten zum Ausdruck gebracht und nicht lediglich den Vollzug von Untersuchungshaft an sich strafmildernd berücksichtigt. Die Untersuchungshaft an sich kann nach ständiger Rechtsprechung des BGH nicht strafmildernd berücksichtigt werden.