Urteile und Entscheidungen im Strafrecht
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Anwalt für Strafrecht: Verkehrsrecht / Unterschreitung des Sicherheitsabstandes
Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen fahrlässiger Unterschreitung des erforderlichen Sicherheitsabstandes zu einer Geldbuße von 180 Euro verurteilt. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts führte der Betroffene einen PKW auf der BAB 1. Bei Kilometer 327,700 wurde im Rahmen einer polizeilichen Verkehrsüberwachung mit dem System Vidit Typ VKS 3.0 Version 3.1. für sein Fahrzeug bei einer (nach Abzug eines Toleranzwertes von 5 km/h) Geschwindigkeit von 131 km/h ein Abstand von nur 26 m zum vorausfahrenden Fahrzeug ermittelt. Die Messstrecke betrug rund 123 m. Die Messstelle war so eingerichtet, dass eine Strecke von insgesamt 500m übersehen werden konnte. Das Amtsgericht hat ausgeschlossen, dass ein anderes Fahrzeug vor dem Betroffenen eingeschert war.
Gegen das Urteil wendet sich der Betroffene mit seinem Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde. Er meint, die Rechtsbeschwerde sei zur Fortbildung des Rechts zuzulassen, um die Mindestlänge bzw. die Mindestdauer der Abstandsunterschreitung obergerichtlich zu klären.
Die Generalstaatsanwaltschaft Hamm hat beantragt, den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde als unbegründet zu verwerfen.
Die Rechtsbeschwerde war - jeweils durch Alleinentscheidung des mitunterzeichnenden Berichterstatters - zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nach § 80 Abs. 1 Nr. 1 OWiG zuzulassen und dem Senat in der Besetzung mit drei Richtern nach § 80a Abs. 3 OWiG zur Entscheidung zu übertragen. Die Zulassung ist zur Fortbildung des Rechts geboten, um die für eine bußgeldrechtliche Ahndung nach §§ 4, 49 StVO notwendige Dauer bzw. Länge einer Abstandsunterschreitung näher zu konkretisieren. Zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung war die Rechtsbeschwerde zuzulassen, weil ansonsten schwer erträgliche Unterschiede in der Rechtsprechung fortbestehen würden. So hat das AG Lüdinghausen mit Urteil vom 28.01.2013 (19 OWi 216/12) für eine Ahndung eine Abstandsunterschreitung auf einer Fahrstrecke von mindestens 150 m, ja sogar eher noch von 250 bis 300 m für erforderlich erachtet. Im angefochtenen Urteil wird hingegen die deutlich geringere, den Mindestabstand unterschreitende, Fahrstrecke von 123 m für ausreichend erachtet.
Die - auch im Übrigen zulässige - Rechtsbeschwerde ist unbegründet.
Die Rügeanforderungen gemäß der §§ 80 Abs. 3 OWiG, 344 Abs. 2 StPO sieht der Senat noch als erfüllt an. Es wurde zwar nicht ausdrücklich die Rüge der Verletzung materiellen Rechts erhoben. Jedoch geht aus dem Gesamtzusammenhang der Begründung des Zulassungsantrages noch hinreichend hervor, dass der Betroffene sich dagegen wenden will, dass das Amtsgericht hier eine Abstandsunterschreitung auf weniger als 150 m Fahrstrecke für die Bejahung des Verkehrsverstoßes hat ausreichen lassen.
Das angefochtene Urteil weist keine Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen auf.
Insbesondere ist die Annahme des Amtsgerichts, dass eine Abstandsunterschreitung auf einer Messstrecke von 123 m den Bußgeldtatbestand nach §§ 4, 49 StVO i.V.m. Nr. 12.6.2. der Tabelle 2 der BKatV erfülle, wenn der vorwerfbare Verstoß mindestens 3 Sekunden angedauert hat, rechtlich nicht zu beanstanden.
Für die Ahndung eines Abstandsverstoßes ist es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes wie auch der Obergerichte erforderlich, dass die Abstandsunterschreitung nicht nur ganz vorübergehend ist. Damit soll dem Umstand Rechnung getragen werden, dass es Situationen geben kann, wie z.B. das plötzliche Abbremsen des Vorausfahrenden oder einen abstandsverkürzenden Spurwechsel eines vorausfahrenden Fahrzeugs, die kurzzeitig zu einem sehr geringen Abstand führen, ohne dass dem Nachfahrenden allein deshalb eine schuldhafte Pflichtverletzung angelastet werden könnte (OLG Hamm NZV 1994, 120; OLG Koblenz, Beschl. v. 02.05.2002 - 1 Ss 75/02 = BeckRS 2002, 30257446; OLG Koblenz, Beschl. v. 10.07.2007 - 1 Ss 197/07 = BeckRS 2008, 08770; König in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 41. Aufl., § 4 Rdn. 22).
Wann eine nicht nur ganz vorübergehende Abstandsunterschreitung vorliegt, wird in der Rechtsprechung der Obergerichte unterschiedlich beurteilt. Einige Gerichte halten eine Strecke von 250-300m, in der die Abstandsunterschreitung vorliegen muss, für ausreichend (vgl. OLG Celle NJW 1979, 325; OLG Düsseldorf NZV 2002, 519; OLG Karlsruhe NJW 1972, 2235). Andere lassen jedenfalls 150 m ausreichen, wenn die Messung in einem standardisierten Messverfahren durchgeführt wurde, ein kurz zuvor erfolgter Spurwechsel eines vorausfahrenden Fahrzeugs ausgeschlossen werden kann und die Dauer der abstandsunterschreitenden Fahrt mehr als 3 Sekunden betrug (OLG Hamm NZV 2013, 203; vgl. auch OLG Köln VRS 66, 463; König a.a.O. Rdn. 22).
Im Gesetz selbst ist keine Mindestdauer in zeitlicher oder örtlicher Hinsicht Voraussetzung der Ahndung einer Abstandsunterschreitung. Die vom Bundesgerichtshof aufgestellte Voraussetzung, dass die Abstandsunterschreitung nicht nur vorübergehend sein darf, bezieht sich nach Auffassung des Senats auf die Dauer oder Länge der vorwerfbaren Abstandsunterschreitung, nicht auf die Dauer oder Länge der insgesamt festgestellten Abstandsunterschreitung. Nach § 10 OWiG kann nur vorsätzliches oder - wenn das Gesetz dies (wie hier) ausdrücklich vorsieht - fahrlässiges Handeln als Ordnungswidrigkeit geahndet werden. Auf die Dauer oder Länge der insgesamt festgestellten Abstandsunterschreitung kann es daher letztlich nicht entscheidend ankommen. Maßgeblich ist also, dass der Anteil an der Gesamtstrecke der Abstandsunterschreitung, der von dem Betroffenen verschuldet wurde (und nicht etwa durch ein Verhalten Dritter oder durch andere Ereignisse, auf die der Betroffene noch nicht reagieren und den erforderlichen Abstand wieder herstellen konnte), nicht nur "vorübergehender" Natur ist.
Bei der Frage, wann eine Abstandsunterschreitung nicht nur vorübergehend ist, steht für den Senat die zeitliche Komponente im Vordergrund. Schon die Formulierung in der genannten Entscheidung des Bundesgerichtshofes legt dies nahe. Auch erscheint es naheliegender, sich der zeitlichen Komponente zum Ausschluss eines nur kurzfristigen - und damit aus Verhältnismäßigkeitsgründen nicht ahndungswürdigen - Versagens des Fahrzeugführers zu bedienen. Der Senat hält jedenfalls eine Abstandsunterschreitung für die Dauer von mehr als 3 Sekunden - wie hier - für kein kurzfristiges Versagen des Fahrzeugführers mehr, wenn kurz zuvor erfolgte abstandsverkürzende, vom Betroffenen nicht zu vertretende, Ereignisse (Abbremsen des vorausfahrendes Fahrzeugs, abstandsverkürzender Fahrspurwechsel eines Dritten, auf die der Betroffene noch keine Möglichkeit hatte zu reagieren) - wie hier - ausgeschlossen werden können (in diese Richtung wohl auch: OLG Koblenz a.a.O.). Auch unter angemessener Berücksichtigung üblicher Reaktionszeiten ist von jedem Betroffenen noch innerhalb einer Dauer der Abstandsunterschreitung von drei Sekunden ohne Dritteinwirkung einerseits das Bewusstsein zu verlangen, dass er handeln und den Sicherheitsabstand vergrößern muss, sowie andererseits auch eine entsprechende Umsetzung abstandsvergrößernder Maßnahmen. Jedenfalls ist eine länger andauernde Gefährdung des Straßenverkehrs durch eine bußgeldbewehrte und damit in jedem Fall erhebliche Unterschreitung des gebotenen Sicherheitsabstandes nicht hinnehmbar. Fährt der Betroffene trotzdem mit einem unzulässig geringen Abstand weiter hinter einem anderen Fahrzeug her, so kann hier von einem nur vorübergehenden Pflichtenverstoß nicht mehr die Rede sein.
Um allerdings besonders schnell fahrende Fahrzeugführer nicht zu privilegieren, hält der Senat aber auch eine Abstandsunterschreitung auf einer Strecke von jedenfalls 140 m unter den o.g. weiteren Voraussetzungen (Ausschluss eines abstandsverkürzenden Ereignisses, auf das der Betroffene noch nicht reagieren konnte, bis zum Beginn der Messstrecke) für nicht nur vorübergehend. Das beruht auf der Erwägung, dass derjenige, der die Richtgeschwindigkeit auf Autobahnen von 130 km/h deutlich überschreitet und damit die Betriebsgefahr seines Fahrzeugs deutlich erhöht, wegen der erhöhten durch ihn begründeten Gefahr bei einer Abstandsunterschreitung auch schneller wieder den erforderlichen Mindestabstand herstellen muss. Eine solche - auch haftungsrechtlich relevante - Überschreitung der Richtgeschwindigkeit wird jedenfalls ab einer Geschwindigkeit von 160 km/h angenommen (OLG Hamm NJW-RR 2011, 464 m.w.N.). Bei dieser Geschwindigkeit legt ein Fahrzeug in 3 Sekunden etwa 133,3 m zurück. Großzügig zugunsten des Betroffenen aufgerundet ergeben sich die o.g. 140 m.
Ob auch bei noch kurzfristigeren Abstandsunterschreitungen ein ahndungswürdiger Verstoß gegeben ist kann der Senat offen lassen.
OLG Hamm, Beschluss vom 9. Juli 2013 - Az. 1 RBs 78/13 -
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Anwalt für Strafrecht: Drogenstrafrecht / Nicht geringe Menge
In seiner Entscheidung vom 29.4.2013 - Ss 259/12 legte der 1. Strafsenat des Oberlandesgericht Nürnberg den Grenzwert für die nicht geringe Menge bei Fentanyl fest, der 75 mg beträgt. Dazu verglich das OLG die Wirkung des Fentanyls mit der Wirkung von Heroin und stellte bei seiner Bestimmung zudem auf opiatgewohnte Personen ab.
Fentanyl ist ein Betäubungsmittel aus den Gruppen der Opioide (zu dieser Gruppe gehört auch Heroin), das normalerweise als Schmerzmittel oder für Kurznarkosen verwendet wird. Die medizinische Anwendung erfolge laut Nachforschungen des Gerichts häufig durch Pflaster auf der Haut, bei denen 24-84% des Wirkstoffs im Pflaster verbleiben. Diese Pflaster würden Konsumenten meistens aus dem Müll der Krankenhäuser holen oder sich von verschiedenen Ärzten im Rahmen des sogenannten "Ärztehoppings" verschreiben lassen, um an den Wirkstoff zu gelangen. Da beide Methoden nach Ansicht des OLG für ein Verhalten bereits opiatsüchtiger Personen sprechen, könne bei der Bestimmung des Grenzwertes nicht von Erstkonsumenten ausgegangen werden.
Anwalt für Strafrecht: Diebstahl
In seinem Beschluss vom 18.6.2013 - 2 StR 145/13 macht der BGH noch einmal deutlich, dass kein vollendeter Diebstahl vorliegt, wenn umfangreiche Beute in einem Supermarkt zwar eingesteckt, der Kassenbereich mit ihr jedoch nicht passiert wird.
In solchen Fällen darf in der Regel nur ein versuchter Diebstahl angenommen werden, da eine vollendete Wegnahme im Selbstbedienungsladen erst dann vorliegt, wenn der Täter Sachen von geringem Umfang einsteckt oder sie sonst verbirgt. Wird also eine sogenannte Gewahrsamsenklave gebildet, so kommt es für die Vollendung des Diebstahls nicht mehr darauf an, dass der Kassenbereich passiert wird. Das Wegtragen umfangreicherer Beute innerhalb der Gewahrsamssphäre des Ladeninhabers stellt jedoch nach Ansicht des BGH noch keine Gewahrsamsenklave dar.
Damit änderte der BGH den zuvor vom Landgericht Aachen ausgesprochenen Schuldspruch dahingehend ab, dass der Angeklagte nur eines versuchten Diebstahls schuldig ist. Er hatte 6 Flaschen Whiskey in zwei mitgebrachte Tüten gesteckt und war, nachdem er von einem aufmerksamen Kunden des Supermarktes bemerkt wurde, ohne die Beute geflohen.
Anwalt für Strafrecht: Strafverfahrensrecht / Pflichtverteidiger
In seinem Urteil vom 20. Juni 2013 - 2 StR 113/13 stellte der BGH fest, dass die Regeln der notwendigen Verteidigung nach §§ 140, 145 Abs. 1 StPO verletzt sein können, wenn bei kurzzeitiger Erkrankung des Pflichtverteidigers ein anderer Verteidiger bestellt wird, obwohl dem Gericht die Aussetzung der Hauptverhandlung möglich gewesen wäre.
Dazu führt der BGH aus, dass die grundsätzliche Entscheidung darüber, ob bei Ausbleiben des Verteidigers ein neuer Verteidiger beizuordnen oder die Hauptverhandlung auszusetzen oder zu unterbrechen ist, im Ermessen des Gerichts steht. Dafür sei entscheidend, ob der Strafverteidiger sich selbst für hinreichend vorbereitet hält, wobei das Gericht grundsätzlich nicht dazu berufen sei dies zu überprüfen. Lediglich in Fällen, bei denen der Verteidiger objektiv nicht genügend Zeit hatte sich vorzubereiten, gebiete die Fürsorgepflicht des Gerichts die Prüfung oder Aussetzung des Verfahrens.
Im zu verhandelnden Fall hatte der neue Verteidiger, trotz erheblichen Aktenumfangs, nur eine Stunde Zeit, um sich in das Verfahren einzuarbeiten. Da er sich aufgrund dieser kurzen Vorbereitungszeit nicht annähernd auf den Stand des Verfahrens bringen konnte, hätte das Gericht davon ausgehen müssen, dass die Verteidigung nicht mit der vom Gesetz verlangten Sicherheit geführt werden kann. Auch die Absicht, einem Zeugen aus dem Ausland die erneute Anreise zu ersparen, könne das rechtstaatlich gebotene Recht auf eine angemessene und effektive Verteidigung nach Art. 6 Abs. 3c EMRK nicht wirksam beschränken.
Anwalt für Strafrecht: räuberische Erpressung
In seinem Beschluss vom 1. August 2013 stellte der Bundesgerichtshof fest, dass keine versuchte schwere räuberische Erpressung nach § 253 Abs. 1, §§ 255, 250 Abs. 1 Nr. 2 StGB vorliegt, wenn einer Prostituierten der Verzicht auf das vereinbarte Entgelt vor einvernehmlicher Erbringung der abgesprochenen sexuellen Handlung abgenötigt werden soll. Zur Begründung führt der BGH an, dass die Erzwingung des Geschlechtsverkehrs ohne Entgelt keinen für § 253 Abs. 1 StGB erforderlichen Vermögenswert innehat, da jede bindende Verpflichtung zur Vornahme sexueller Handlungen mit dem Schutz der Menschenwürde unvereinbar ist. Daher könne allenfalls bei freiwillig erbrachten sexuellen Handlungen von einer durch die Rechtsordnung nicht missbilligten Dienstleistung und damit von einem Vermögensbestandteil gesprochen werden. Dem stehe auch das 2002 in Kraft getretene Prostitutionsgesetz (ProstG) nicht entgegen, nach dem eine Prostituierte erst dann eine rechtswirksame Forderung erwirbt, wenn die sexuelle Handlung gegen ein zuvor vereinbartes Entgelt vorgenommen wurde. Dem gegen den Willen der Prostituierten erzwungenen Geschlechtsverkehr sei vielmehr mit den Tatbeständen der sexuellen Nötigung (§§ 177, 240 Abs. 1, Abs. 4 S. 2 Nr. 1) StGB entgegenzutreten.
Anwalt für Strafrecht: Ordnungswidrigkeit
Das Oberlandesgericht (OLG) Hamm hat mit seinem Beschluss vom 09.07.2013 - 1 RBs 78/13 die Grenzen für das bußgeldpflichtige Drängeln im Straßenverkehr verschärft.
Dazu führte es aus, dass es für die Ahndung eines Abstandverstoßes entscheidend auf eine nicht nur ganz vorübergehende Abstandsunterschreitung ankommt. Damit sollen Fälle, wie zum Beispiel das plötzliche Abbremsen des Vorausfahrenden oder einen abstandsverkürzenden Spurwechsel eines vorausfahrenden Fahrzeugs, bei denen es zwar zu einem kurzzeitig geringen Abstand kommt, dem Nachfahrenden allerdings trotzdem keine schuldhafte Pflichtverletzung angelastet werden soll, ausgeschlossen werden.
Bisher wurde die Frage, wann eine nicht nur ganz vorübergehende Abstandsunterschreitung vorliegt, in der Rechtsprechung unterschiedlich beantwortet. Das OLG Hamm stellt hierzu in seinem Beschluss vor allem auf die zeitliche Komponente ab, nach der nun eine Abstandsunterschreitung für die Dauer von mehr als 3 Sekunden ausreichen soll, wenn vom Betroffenen nicht zu vertretende, zuvor erfolgte abstandsverkürzende Ereignisse, ausgeschlossen werden können. Eine länger andauernde Gefährdung des Straßenverkehrs durch Unterschreitung des gebotenen Sicherheitsabstandes sei nicht hinnehmbar und könne nicht mehr als vorübergehender Pflichtenverstoß bewertet werden.
Um allerdings besonders schnell fahrende Fahrzeugführer nicht zu privilegieren, soll nach Ansicht des OLG auch derjenige eine Ordnungswidrigkeit begehen, der auf einer Strecke von jedenfalls 140 m den erforderlichen Sicherheitsabstand nicht einhält. Auch hier müsse allerdings der Ausschluss von abstandsverkürzenden Ereignissen, auf die der Betroffene nicht reagieren konnte, gewährleistet werden.
Anwalt für Strafrecht: Verkehrsrecht / Akteneinsichtsrecht in die Bedienungsanleitung von Geschwindigkeitsmessgeräten
Dies erfordere jedoch einen Antrag auf Akteneinsicht und Unterbrechung bzw. Aussetzung in der Hauptverhandlung und einen ablehnenden Gerichtsbeschluss.
Mit der Verfahrensrüge sei sodann vorzutragen, welche Tatsachen sich aus welchen genau bezeichneten Stellen der Akten ergeben hätten und welche Konsequenzen für die Verteidigung darauf gefolgt wären.
Sollte dies wegen des vorenthaltenen Aktenmaterials nicht möglich sein, weil dem Verteidiger die Akten nicht zugänglich gemacht worden sind, müsse der Verteidiger dartun, dass und wie er sich bis zum Ablauf der Frist zur Begründung der Verfahrensrüge weiter erfolglos um Einsichtnahme bemüht habe.
Kammergericht Berlin, Beschluss vom 07. Januar 2013 - 3 Ws(B) 596/12
Anwalt für Strafrecht: Nötigung / Geldstrafe für einen erzwungenen Kuss
Ein erzwungener Kuss kann eine strafbare Nötigung sein. Das hat das Oberlandesgericht Hamm entschieden und damit die Revision des Angeklagten gegen ein Urteil des Amtsgerichts Essen als unbegründet verworfen. Das Urteil des Amtsgerichts, das den Angeklagten wegen Nötigung zu einer Geldstrafe von 2.000 ? verurteilt hatte, ist damit rechtskräftig.
Der 49-jährige Angeklagte aus Essen erteilte der Geschädigten Musikunterricht. Seine verbalen Annäherungsversuche wies die Geschädigte zurück und äußerte, dass sie so etwas nicht wolle. In einer Situation, in der sich beide frontal gegenüberstanden, zog der Angeklagte die Geschädigte zu sich hin, so dass sie ihm nicht mehr ausweichen konnte, und küsste sie auf den Mund.
In dem gegen ihn geführten Strafverfahren hat sich der Angeklagte unter anderem damit verteidigt, dass in seinem Verhalten keine strafbare Nötigung gesehen werden könne, weil er keine Gewalt ausgeübt und die Geschädigte während des Küssens nicht festgehalten habe.
Der 5. Strafsenat hat demgegenüber festgestellt, dass das Verhalten des Angeklagten den Tatbestand einer strafbaren Nötigung erfüllt. Der Angeklagte habe Gewalt angewandt, als er die Geschädigte zu seinem Körper herangezogen habe. Gewalt im Sinne des Nötigungstatbestandes liege bereits dann vor, wenn der Täter mit geringen körperlichen Kräften auf das Opfer einen unmittelbaren körperlichen Zwang ausübe. Diese Voraussetzungen seien erfüllt, indem der Angeklagte die Zeugin angefasst und zu sich herangezogen habe.
Mit der eingesetzten Gewalt habe der Angeklagte auch den Kuss erzwungen. Die Geschädigte habe ihren entgegenstehenden Willen zuvor deutlich geäußert, über diesen habe sich der Angeklagte vorsätzlich hinweggesetzt. Da die Nötigung vollendet gewesen sei, als die Geschädigte den Kuss habe erdulden müssen, komme es nicht darauf an, ob der Angeklagte die Geschädigte während des Kusses noch weiter festgehalten habe.
Oberlandesgericht Hamm, Beschluss vom 26.02.2013 - III-5 RVs 6/13 -
Anwalt für Strafrecht: Untersuchungshaft gegen jugendlichen Einbrecher
Dem 20-jährigen Beschuldigten wird vorgeworfen gemeinsam mit zwei unbekannt gebliebenen Personen in ein freistehendes Gehöft eingebrochen zu sein. Dazu sollen sie mit einem Vorschlaghammer ein Fenster des Wohnzimmers eingeschlagen haben und durch dieses Fenster in das Wohnzimmer eingestiegen sein. Dort sollen sie dem dort sitzenden 89-jährigen Geschädigten mit dem Vorschlaghammer gegen das rechte Bein geschlagen, ihn zu Boden gebracht und mit Kabelbinder an Händen und Füßen gefesselt haben.
Anschließend sollen sie das Haus durchsucht und u. a. eine Pistole, zwei EC- Karten und Bargeld in Höhe von ca. 8.000,00 ? entwendet haben. Der Geschädigte erlitt durch den Schlag mit dem Vorschlaghammer einen Bruch des Unterschenkels, der im Krankenhaus operativ versorgt werden musste. Der dringende Tatverdacht gegen den Beschuldigten ergab sich daraus, dass an den verwendeten Kabelbindern DNA-Spuren gefunden wurden, die ihm zugeordnet werden konnten.
Bereits im Vorfeld war der Beschuldigte wegen Wohnungseinbruchsdiebstahls in zwei Fällen und anderen Delikten zur Absolvierung eines sechsmonatigen Sozialen Trainingskurses sowie 20 Tagen gemeinnütziger Arbeit verurteilt worden. Der Beschuldigte steht zudem in einem weiteren Verfahren in Verdacht, mit Mittätern einen Wohnungseinbruchsdiebstahl begangen zu haben.
Das Amtsgericht Bremen - Jugendgericht - hat gegen den 20-jährigen Beschuldigten mit Haftbefehl vom 10. September 2012 die Untersuchungshaft wegen des Haftgrundes der Wiederholungsgefahr gemäß § 112a Abs. 1 Nr. 2 StPO unter Bezugnahme auf die Verurteilung sowie das weitere Verfahren angeordnet.
Auf Antrag des Beschuldigten setzte das Amtsgericht Bremen mit Beschluss vom 23. Oktober 2012 den Haftbefehl gegen Auflagen außer Vollzug. Gegen diesen Beschluss des Amtsgerichts Bremen legte die Staatsanwaltschaft Beschwerde ein. Mit Beschluss verwarf das Landgericht die Beschwerde der Staatsanwaltschaft und hob gleichzeitig den Haftbefehl des Amtsgerichts Bremen auf. Zur Begründung führte das Landgericht an, dass der Haftbefehl schon deshalb keinen Bestand haben könne, weil der Beschuldigte in der Vergangenheit bislang nur zu erzieherischen Maßnahmen, nicht aber zu einer Jugendstrafe verurteilt worden sei.
Gegen den Beschluss des Landgerichts legte die Staatsanwaltschaft weitere Beschwerde vor dem Hanseatischen Oberlandesgericht (OLG) in Bremen ein.
Das OLG Bremen hat den Haftbefehl durch Beschluss vom 01. März 2013 wieder in Vollzug gesetzt. Zur Begründung hat das OLG ausgeführt, dass - entgegen der Auffassung des Landgerichts - der Umstand, dass Vortaten des Beschuldigten bisher nur mit jugendgerichtlichen Zuchtmitteln geahndet worden sind, der Annahme einer "die Rechtsordnung schwerwiegend beeinträchtigende Straftat", die für den hier nach § 112a StPO ergebenden Haftgrund erforderlich ist, nicht entgegensteht.
Auch wenn die Voraussetzungen unter denen eine Jugendstrafe verhängt werden kann, andere sind und dort die Täterpersönlichkeit und der Erziehungsgedanke im Vordergrund stehen, dient die Haftanordnung nach § 112a StPO in erster Linie dem Schutz der Allgemeinheit.
Eine automatische Herausnahme derjenigen Straftaten aus den Haftgründen, die nur zu einer Ahndung mit jugendrichterlichen Zuchtmitteln geführt haben, gibt das Gesetz nicht her. Das würde im Übrigen dazu führen, dass der Schutz der Bevölkerung vor heranwachsenden Serienstraftätern nicht im gleichen Maße möglich wäre wie der Schutz vor erwachsenen Serienstraftätern. Insbesondere ist es für die Außenwirkung einer Tat und die Folgen für das Opfer in der Regel ohne Belang, ob die Tat von einem Heranwachsenden oder Erwachsenen begangen worden ist. Da hier auch die Gefahr besteht, dass der Beschuldigte vor rechtskräftiger Aburteilung weitere erhebliche Straftaten gleicher Art begeht, war die Vollziehbarkeit des Haftbefehls anzuordnen.
Oberlandesgericht Bremen, Beschluss vom 01. März 2013
www.verteidiger-berlin.info/docs/anwalt-untersuchungshaft.php
Anwalt für Strafrecht: Verkehrsrecht / Umfahren einer roten Ampel
Der Betroffene war vom Amtsgericht wegen vorsätzlicher Nichtbefolgung eines Wechsellichtzeichens eine Geldbuße von 200 Euro verurteilt worden. Zudem wurde gegen ihn wegen des vermeintlichen qualifizierten Rotlichtverstoßes ein einmonatiges Fahrverbot - unter Gewährung der sog. "Viermonatsfrist" - verhängt.
Nach den Feststellungen im amtsrichterlichen Urteil soll der Betroffene vor einer Kreuzung, an welcher die Ampel Rotlicht für ihn zeigte, nach links auf das Gelände einer im Eckbereich der beiden Straßen liegenden Tankstelle abgebogen sein. Er überquerte das Tankstellengelände und verließ dieses an der Ausfahrt, indem er in die anliegende Straße nach links einbog.
Im Grundsatz noch zutreffend ist der Ansatz des Amtsgerichts, dass das Umfahren einer Lichtzeichenanlage einen Rotlichtverstoß darstellen kann. Das Rotlicht der Verkehrssignalanlage ordnet ein "Halt vor der Kreuzung oder Einmündung" an. Es schützt den Querverkehr oder den einmündenden Verkehr, der für seine Fahrtrichtung durch Grünlicht der Signalanlage freie Fahrt hat und sich darauf verlassen darf, dass aus der gesperrten Fahrtrichtung keine Fahrzeuge in den geschützten Kreuzungs- oder Einmündungsbereich hineinfahren. Dadurch sollen solche Gefahrensituationen ausgeschlossen werden, die erfahrungsgemäß zu schweren Verkehrsunfällen führen können.
Zu dem durch die Lichtzeichenanlage geschützten Bereich gehört der gesamte Kreuzungs- oder Einmündungsbereich, wobei außer der Fahrbahn auch die parallel verlaufenden Randstreifen, Parkstreifen, Radwege oder Fußwege diesem Bereich zuzuordnen sind. Auch der Bereich in einer Entfernung von 10 -15 m hinter der Lichtzeichenanlage gehört noch zum geschützten Bereich.
Vor diesem Hintergrund ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass derjenige, der die Fahrbahn vor einer für ihn Rotlicht zeigenden Ampelanlage verlässt und diese über den Gehweg, Randstreifen, Parkstreifen, Radweg oder eine Busspur umfährt, um hinter der Ampelanlage in dem durch sie geschützten Bereich wieder auf die Fahrbahn aufzufahren, sich eines Rotlichtverstoßes schuldig macht.
Gleiches gilt, wenn jemand auf einer Fahrbahn mit mehreren durch Leitlinien bzw. Fahrstreifenbegrenzungen und Richtungspfeile markierten Fahrstreifen mit jeweils eigener Lichtzeichenregelung auf der durch Grünlicht freigegebenen Geradeausspur in eine Kreuzung einfährt und nach Überfahren der Haltlinie auf den durch Rotlicht gesperrten Fahrstreifen für Linksabbieger wechselt.
Nicht immer eindeutig zu beurteilen ist hingegen das Überfahren einer roten Ampel bei noch rechtzeitigem Anhalten vor der eigentlichen Kreuzung. Fährt der Fahrzeugführer beispielsweise bei Rot über eine Ampel, hält er aber noch vor der eigentlichen Kreuzung an, so kann ihm nur ein Vorwurf wegen des Nichtbefolgens eines durch ein Vorschriftszeichen angeordnetes Ge- oder Verbot gemacht werden. Ein solcher Verstoß ist aber dann als Rotlichtverstoß schwer zu widerlegen, wenn die eingesetzte Rotlichtüberwachungskamera nur ein Foto von dem Rotlichtverstoß anfertigt, welches nur das Überfahren der Haltelinie im Kreuzungsbereich anzeigt, möglicherweise aber nicht das noch rechtzeitige Halten vor der eigentlichen Kreuzung.
Nach einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm vom 02. Juli 2013 (1 RBs 98/1) verbietet das Rotlicht dagegen nicht, vor der Ampelanlage abzubiegen und einen nicht durch die Lichtzeichenanlage geschützten Bereich zu befahren, etwa auf einen Parkplatz oder - wie hier - ein Tankstellengelände einzufahren. Ebenso wenig untersagt es, von einem nicht durch die Signalanlage geschützten Bereich auf den hinter dieser, durch sie also geschützten Verkehrsraum zu fahren; denn das Rotlicht wendet sich selbstverständlich nur an denjenigen Verkehrsteilnehmer, der es - in seiner Fahrtrichtung gesehen - vor sich findet.
Mit einer solchen Vorgehensweise nutzt der Verkehrsteilnehmer lediglich eine Lücke, die es ihm ermöglicht, sich außerhalb der Reichweite des Haltegebots fortzubewegen. Das auch ansonsten zulässige und nicht bußgeldbewehrte Verhalten des Auffahrens und Verlassens eines Privatgrundstücks wird nicht dadurch zur Ordnungswidrigkeit, dass es durch die Vermeidung des Anhaltens vor einer Rotlicht zeigenden Lichtzeichenanlage motiviert ist. Die oben geschilderte Gefährdungslage ist bei einer solchen Verhaltensweise nicht gegeben. Vielmehr ist lediglich die Gefährdungslage des - grundsätzlich aber erlaubten - Ein- und Ausfahrens auf ein bzw. von einem Privatgrundstück gegeben, die aber durch die Wechsellichtzeichenanlage nicht vermindert werden soll.
Soweit in der Vergangenheit durch einzelne Gerichte entschieden worden ist, dass aber das gezielte Umfahren einer Rotlicht zeigenden Lichtzeichenanlage wegen der Zielgerichtetheit gleichwohl einen Verstoß darstellt, kann dem aus den oben genannten Gründen nicht gefolgt werden.
Auch ein Verstoß gegen das Gebot der Fahrbahnbenutzung kann in der Verhaltensweise des Betroffenen nicht gesehen werden. Ein Kraftfahrer, der vor einer Straßenkreuzung die Fahrbahn verlässt, um über ein neben der Straße gelegenes Tankstellengelände die Querstraße schneller zu erreichen, verstößt nicht deshalb gegen das Gebot der Fahrbahnbenutzung, weil er dazu den Gehweg überqueren muss.
Diese Entscheidung wurde mitgeteilt von Rechtsanwalt Dietrich. Rechtsanwalt Dietrich ist Fachanwalt für Strafrecht aus Berlin Kreuzberg. Er verteidigt Betroffene gegen strafrechtliche und verkehrsrechtliche Vorwürfe.
Weitere Informationen zum Verkehrsrecht finden Sie unter:
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